Das beste Panel: "We are all in the entertainment industry"

Joana Breidenbach
19.04.2010

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Die brilliante Moderatorin des Panels, Jess Search, CEO der Channel 4 Britdoc Foundation

Ungeachtet der vielen beeindruckenden Menschen, die auf dem 7. World Skoll Forum zusammenkamen, erinnerten die meisten Panels doch sehr an den Frontalunterricht meiner Schulzeit und der Wissensreichtum des durchweg hochkarätigen Publikum kam nur in kurzen Abschnitten zum Vorschein. Einigen Teilnehmern der letzten Skoll Foren fehlte diese interaktive Dimension so sehr, dass sie kurzerhand eine „un-conference“, die Oxford Jam, ins Leben riefen, die dieses Jahr erstmalig parallel zum SWF tagte.

Eine Veranstaltung, die dieses Muster deutlich durchbrach und helle Begeisterung bei uns allen hervorrief, war „Social Change Media in the Age of Information Overload“. Moderatorin Jess Search gelang es während eineinhalb Stunden ein echtes Feuerwerk an Stimmen und Perspektiven auf dem Panel zu entzünden. Und das ging so:

Das Format
Auf der Bühnen saßen nicht nur die vier Panelisten, TV-Presentator Alvin Hall, Kiva-Mitgründer Premal Shah, Jim Berk CEO von Participant Media und Cara Mertes, Direktorin des Sundance Institutes, sondern ein leerer Stuhl, der von jedem Teilnehmer der Session besetzt werden konnte. Sobald ein Beitrag beendet war, kam aus dem Saal jemand nach vorne um sich in die Diskussion einzubringen, während einer der ursprünglichen Panelisten im Zuschauerraum Platz nahm. So wurde Alvin Hall abgelöst durch Bart Weetjens (über den Alvin einen Dokumentarfilm gemacht hatte), der wiederum von einem BBC Worldservice-Produzenten usw.. Auf diese Weise konnte der Spannungsbogen über eineinhalb Stunden gehalten werden und eine unvergleichliche Vielfalt von Perspektiven Gehör finden. Ganz zum Schluss holte Jess wieder die ursprünglichen Gäste auf die Bühne, die in einem Kurzstatement die wichtigsten Themen des Nachmittags zusammenfassten.

“Behalten Sie Ihre Handys während der Veranstaltung angeschaltet”
Die Widerspenstigkeit des Formats wurde unterstrichen von den Ansagen der Moderatorin: Während alle anderen Diskussionsleiter zu Beginn darum baten, Handys und Laptops auszustellen, erklärte sie, wir sollten bitte unsere Telefone anlassen um zu tweeten und auch unsere Laptops dazu nutzen Sachen nachzuschauen.

Fazit: Das Format war absolut super, funktioniert aber nur mit einer erstklassigen Zuhörergruppe, bei denen keine Wichtigtuer Monologe halten, vom Thema abschweifen und sich profilieren wollen.

Der Inhalt
„Welche Arten von Geschichten motivieren Menschen zu handeln?“ Wir alle werden von Informationen überflutet und klicken die Hälfte der emails in unserem Posteingang ungelesen weg. Dennoch gelingt es immer wieder einzelnen Aktionen Menschen so direkt anzusprechen, dass sie Handeln - eine Petition unterzeichnen, Spenden, eine Geschichte weitertragen. Und genau dieses Wissen ist für eine Organisation Gold wert.

Die Kiva-Geschichte
So geschehen im Falle von Kiva.org, betterplace’s großer amerikanischer „Bruder“ im Bereich Mikrokredite. Ein Jahr nach Kivas Start hatte die Plattform 450.000US$ an Krediten von Privatleuten eingenommen, um sie an Mikrokreditnehmer auf der ganzen Welt zu verteilen. Dann zeigte PBS Frontline im Okotber 2006 einen kurzen TV-Beitrag über die Plattform und die Zugriffszahlen schossen nach oben. Die Server brachen für 4 Tage unter dem Ansturm zusammen; das verstärkte den Hype um die Seite nicht nur, sondern trug auch zur Konsolidierung der Finanzen bei: auf der lahmgelegten Seite schaltete Kiva einen Banner, der die User aufforderte, für einen neuen Server zu spenden. Das Resultat: innerhalb eines Monats kamen 125.000 US$ zusammen, die dringend benötigt wurden, da Kiva zu diesem Zeitpunkt nur noch Geld für einen weiteren Monat hatte. In den Monaten nach der Ausstrahlung stieg das monatliche Kreditvolumen über kiva.org auf 1 Millionen US$ an. Heute kommt alle fünf Tage eine Millionen US$ zusammen!

Was machte diesen kurzen TV-Spot so wirksam? Das Thema Mikrokredit war gerade durch die Verleihung des Friedensnobelpreises an Muhammad Yunus populär geworden und der Fernsehsender erreichte die genau richtige demographische Gruppe. Vor allem aber wurden die Zuschauer durch das Erzählformat direkt einbezogen. So erzählt ein Kiva-Kreditgeber, der einen kleinen Mikrokredit vergeben hatte, er fühle sich ein bisschen so, “als ob er seine eigene Rockefeller Stiftung hätte“. Diese Einstellung modellierte nachahmenswertes Verhalten. Andere Sequenzen zeigten konkrete Kreditnehmer in Ostafrika und ihre Anliegen und holten den Zuschauer nah an die Lebenswelten der Kreditempfänger heran.

Waiting for Superman
Sehr wirksam war auch der Trailer, den Jim Berk von Participant Media (der von Jeff Skoll gegründeten Filmfirma, die u.a. Syriana (mit George Clooney) finanziert haben) von ihrem neuesten Filmprojekt, Waiting for Superman, zeigte. Innerhalb von wenigen Minuten wurde ich hineingezogen, in ein Thema, welches sich auf den ersten Blick nicht für einen Thriller zu eignen scheint: das Scheitern des amerikanischen Schulsystems.

Sein Rezept für einen Dokumentarfilm, der Menschen bewegt:

  1. Finde das Thema, die Du erzählen willst.
  2. Finde den Geschichtenerzähler, in diesem Fall der Regisseur von Al Gore’s Inconvenient Truth
  3. Finde die Geschichte: 11 Kinder, die der Film ein Jahr begleitet
  4. Finde den richtigen Tonfall: bloß keine erhobenen Zeigefinger
  5. Finde die Zuschauer: bestimme sehr genau Deine Zielgruppe
  6. Baue auf Emotionen, zieh den Zuschauer in die Geschichte rein
  7. Erkenne Deine Grenzen und erzähl bloß nicht zu viel

Alvin’s Guide to Good Business
Für betterplace und die bei uns versammelten Projekte waren auch die Erfahrungen von Alvin Hall wichtig. Der amerikanische Fernsehreporter präsentiert im BBC (zur Primetime) Alvins Guide to Good Business, in der die Arbeit von Social Entrepreneurs vorgestellt wird. Hall besucht die Aktivisten in Indien, Mosambik oder Zambia und verfolgt ihre Projekte über ein halbes Jahr. Das Resultat sind sehr unterhaltsame, erfahrungsnahe Portraits eindrucksvoller Sozialunternehmer (ich habe mir online bislang 3 angesehen und freue mich auf die restlichen 5 Episoden).

Die Serie findet bei den Zuschauern guten Anklang. Wie aber wirkt sie sich auf die portraitierten Organisationen aus? Die Website von Apopo, der Organisation von Bart Weetjens, die mit Hilfe von Ratten Landminen beseitigt, wurde nach der Ausstrahlung 300.000 geklickt. Doch insgesamt kamen nur um die 5.-10.000€ Spenden zusammen.

Wieso mobilisiert die Sendung nicht mehr Spenden? Hängt es im Falle von Apopo damit zusammen, dass keine Opfer von Landminen gezeigt wurden? Eher nicht, so die TV-Experten: In der Branche weiß man, dass Geschichten mit Verletzten sehr schnell abgeschaltet werden.

Nobody switches on the TV in the evening, saying: „I am going to do something good tonight“. You have to seduce them.

Der BBC Produzent, der aus dem Zuschauerraum auf das Panel kam, begründete den Fundraising-Misserfolg damit, dass die BBC Zuschauerschaft keine Spender im klassischen Sinne sind. Statt dessen würde die Doku-Serie die Reputation der Organisationen fördern und meinungsbildend wirken. Und wirklich, die Macher von Riders for Health http://www.riders.org/, die ebenfalls auf die Bühne kamen, beschrieben, dass sie den Film über ihre Organisation u.a. dazu verwendet hätten, einem Minister in Zambia ihre Arbeit (im Land selbst) zu präsentieren und das dieser derart beeindruckt, gerade einen Vertrag mit der Organisation abgeschlossen hätte.

Oft divergieren die Interessen der Filmemacher (oder Medienleute im allgemeinen) und die der portraitierten Sozialunternehmer. Bart Weetjens erzählte, dass einige Mitarbeiter kritisiert hätten, der Film über Apopo sei eher einer über Alvin Hall. Alvin rechtfertigte dies damit, dass man durch jede Serien einen roten Faden weben muss und dieser in diesem Fall u.a. er selbst die Identifizierungsfigur sei.

Erfolgreiche Erzählstrategien für non-profit Organisationen sind solche, die gute, emotionale Geschichten erzählen, die bei Zuschauern das Begehren wecken, selbst Teil der Geschichte zu werden. Diese Geschichten müssen nicht lang sein, sie sollten authentisch sein – „put cameras into the hands of your beneficiaries“ lautete ein Ratschlag (den wir an alle Interessenten unseren Flip-Kamera Videowettbewerbs gerne weitergeben) und wir als Organisationen müssen wohl unsere Scheu verlieren, auf Vollständigkeit und Komplexität bis zu einem gewissen Maße zu verzichten, denn so das Fazit der Panelisten: „If you want to change the world, you have to become part of the entertainment business.“

P.S. Ich bin übrigens sehr glücklich, Bart Weetjens als Speaker für TEDx Hamburg am 27.Mai 2010 gewonnen zu haben. Außerdem wird Apopo seine Projekte in den nächsten Wochen auch auf betterplace präsentieren und dann können wir da reüssieren, wo die BBC versagt hat!

P. P. S: Im letzten Teil der SWF Highlights werde ich mich kritisch mit dem Hype um Social Entrpreneurship auseinandersetzen.