Der Obama Effekt

Joana Breidenbach
19.01.2009

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Barack Obama in Berlin, von Obamas Flickr photostream

Heute ist es soweit: Barack Hussein Obama wird als 44. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Als erster Afro-Amerikaner, Sohn eines kenianischen Vaters, einer amerikanischen Mutter und Enkel eines muslimischen Großvaters, steht er für ein neues Amerika und eine neue Welt.

Eine Welt, die vielfältiger und partizipativer ist, als die der Clintons und Bushs. Eine Welt, die das Versprechen birgt, mehr Menschen zu ermöglichen, das Leben zu führen, das ihnen gut, richtig und schön erscheint.

Und genau dafür sind wir auch bei betterplace.org unterwegs.

Doch wie kommen wir dahin? Nun, wir glauben, dass Obama auch dafür einen Teil der Antwort bietet: Denn, wie weithin bekannt, hat er, wie keiner vor ihm, die Möglichkeiten des Netzes effizient und effektiv eingesetzt.

Zum Beispiel fürs Fundraising.

Woher kommen die über 270 Millionen US-Dollar, die Barack Obama allein im Vor-Wahlkampf ausgegeben hat? Einen ganz wesentlicher Teil des Geldes kommt aus dem Internet …. Von den 55 Millionen Dollar, die Obama allein im Februar 2008 an Spenden erhielt, liefen 45 Millionen über seine Websites ein – in Form zahlreicher kleiner und kleinster Einzelspenden. Nun versuchen Politiker und Parteien schon seit Jahren, das Internet stärker zu nutzen und auf diesem Wege auch Spenden zu sammeln - bislang ohne großen Erfolg. Was ist Obamas Geheimnis?

Guck mal. mach mit!

Auch auf Hillary Clintons und John McCains Websites konnte man spenden. Doch nur wenige taten es. Bernd Herrmann von der Heinrich Böll Stiftung beschreibtdie Netzintelligenz, die Obamas Kampagne auszeichnete: die Einsicht darin, dass das Internet anders ist, als andere Medien. Er hatte die richtigen Verbündeten auf seiner Seite: Schon früh nahmen einige Unternehmer in San Franciscos Bay Area mit Obama Kontakt auf und boten ihm an, Spenden zu sammeln. Und zwar, indem sie die neuesten Web Technologien mit sozialen Mechanismen verknüpften: Wahlkampf 2.0.

Zuvor hatte Wahlkampf im Internet vor allem darin bestanden, alte Methoden mehr oder weniger gut in das neue Medium zu pressen: Fernsehspots konnte man online kucken, Plakate und Flyer aus dem Netz herunterladen, Informationen statt per Brief per Newsletter beziehen – und eben auch, statt per Scheck, online spenden. Kann man machen. Die entsprechenden Websites erinnern an frühe Automobile, Pferdekutschen ohne Pferde.

Auch auf Obamas Websites gibt es die alten Werkzeuge, Newsletter & Co. Es gibt aber viel mehr. Das gesamte Arsenal der technischen Möglichkeiten wird eingesetzt um damit sehr bewusst alte wie neue Zielgruppen zu erreichen – vor allem auch diejenigen, die gar nicht wissen, dass sie, was die Inhalte betrifft, Zielgruppe sind. Das beginnt damit, dass die entsprechenden Websites niedrigschwellig sind. Der Einstieg ist (meist) keine Wahlkampfrede plus Aufforderung sich anzumelden und zu spenden. Den einen Einstieg gibt es überhaupt nicht – es gibt ungezählte. Im Vordergrund steht dabei nicht das Prinzip „Gib mir“ (dein Geld, deine E-Mail-Adresse etc.), sondern das Prinzip „Guck mal, mach mal“. Und mitmachen kann man auf vielerlei Art – indem man twittert, flickrt, masht oder blogt. Anders gesagt, hier hat jemand begriffen: Das Internet ist keine Broschüre im Bildschirmformat, es ist ein modulares, oft auch interaktives Medium, mit dem die Nutzerinnen und Nutzer anderes treiben, als mit einer Zeitschrift.

Netzintelligenz und freie Formate

Netzintelligenz ist auch, Nutzerinnen und Nutzer nicht zu gängeln, ihnen Angebote und Werkzeuge zur Verfügung zu stellen – und sie dann weitgehend selbst machen zu lassen. Über Wikis können sich Unterstützer zusammenschließen, ohne dass eine zentrale Instanz ihre Aktivitäten steuert oder überwacht; in Mashups können sie Inhalte und Funktionen kombinieren; und damit das reibungslos funktioniert, liefert Obamas Team die Inhalte nicht nur in den passenden Formaten, sondern oft auch unter einer Creative-Commons-Lizenz aus. Der Grund, dass das alles so gut funktioniert, ist nicht allein die Technik, es ist die Souveränität, mit der sie angewandt wird: Jeder, der auf Obamas Websites landet, merkt: Hier hab ich’s mit Leuten zu tun, die mich mitmachen lassen – und nicht mit einem Apparat, einer Werbeagentur, die mir was aufs Auge drückt.

Auch unser Ziel ist es neue Gruppen zum Gutes-tun zu mobilisieren. Indem wir, wie Moritz zu sagen pflegt, zeigen, dass Spenden Spaß macht, wenn es unkompliziert ist und man konkret mitverfolgen kann, wo das Geld hingeht und was damit gemacht wird. Und indem wir z.B. Fundraising Team ermöglichen, bei denen viele Menschen zusammenkommen, die mit wenig Geld in der Masse richtig was bewegen können. So wie im Team meiner Freundinnen oder des Teams Nürnberg für Kinder.

Und dennoch wäre es naiv zu glauben, dass sich US-amerikanische Methoden 1:1 auf Deutschland übertragen ließen. Meine Freundin und betterplace Mitstreiterin Renee kann davon ein Lied singen. Denn als sie versuchte amerikanische Fundraisingformate auf Deutschland zu übertragen - in diesem Fall für Room to Read - mußte sie feststellen, dass zwar viele Menschen ihrer Einladung zur Veranstaltung mit John Wood, dem Gründer von RtR gefolgt waren, die meisten Scheckbücher aber in den Sakkotaschen blieben.

Bezogen auf die politische Landschaft wird es, so Bernd Herrmann, 2009 keinen bahnbrechenden Online-Wahlkampf in Deutschland geben. Da müßten wir schon auf den ersten türkischstämmigen Bundeskanzler warten. Und überhaupt stünden erfolgreiche Beispiele für virales Marketing in unserem Land noch aus.

Wie aber könnte ein deutscher Obama-Effekt aussehen? Wir bei betterplace versuchen durch die Bereitstellung einer partizipativen Infrastruktur, die viele einbezieht, vielen zuhört, viele anspricht und in Feedback-Schleifen miteinander verbindet, eine Art “Schwarmintelligenz” zu erzeugen. Und mittels dieser eine - wie unser Beirat Hans-Jürgen Cramer sagt - “größere Teilhabegerechtigkeit” herzustellen.

Erhoffe ich mir zu viel, wenn ich 2009 auf einen betterplace Effekt baue?