Der Spendenkomplex, 1. Teil

Joana Breidenbach
08.11.2008

spendenkomplex

Der Spendenkomplex - Das kalte Geschäft mit den heißen Gefühlen – so der Titel des Buches von Alexander Glück, in dem er seine Erfahrungen im dritten Sektor kritisch zusammenfasst.

Mehr Selbstreflektion – bitte! Und zwar bei Spendern ebenso wie bei großen und kleinen Hilfsorganisationen. So könnte die das Buch durchziehende Grundthese lauten.

Für das Gros der Spender zählt nur das gute Gefühl beim Spendenvorgang, der ihre Selbstachtung erhöht. Wirkung und Effekt der Spende werden selten kritisch hinterfragt.

Spenden an sich ist nicht unweigerlich gut
Dabei hätten Spender, so Glück, dazu einigen Anlass. Spenden an sich, so ein leicht nachzuvollziehendes Fazit der Studie, ist an sich nicht per se gut. Viel zu viel Geld geht in ineffektive Organisationen, die ihren Satzungszielen nicht gerecht werden. Oftmals verhindern Spendengelder auch den eigentlich nötigen strukturellen Wandel, da sie wie ein Heftpflaster wirken, anstatt die darunter liegende Wunde nachhaltig zu heilen (so z.B. indem sie kurzfristig die negativen Effekte des massiv ungleichgewichtigen Welthandelssystems lindern, statt an seiner Umstrukturierung zu arbeiten).

Den Hilfsorganisationen steht viel Geld zur Verfügung: Glück geht von 2,5 Milliarden Privatspenden in Deutschland aus. Dazu kommt noch mal der Etat des BMBZ (Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit), der 2007 bei 4,5 Millionen lag und zu 1/3 in Großorganisationen wie UNICEF, zu 1/8 in kleinere NGOs floß.

Ein erheblicher Anteil dieser Gelder wird für „Werbung und Verwaltung,“ verwendet; für Büromieten und Honorare von Werbefirmen, für Druckaufträge, Portokosten und die Gehälter der Fundraiser und Mitarbeiter.

Die Kluft zwischen öffentlicher Wahrnehmung und Realität
Natürlich müssen NGOs genauso professionell arbeiten und marktadäquate Gehälter zahlen können, wie profitorientierte Unternehmen. Ein Problem liegt jedoch in der oft großen Diskrepanz von öffentlicher Wahrnehmung und realen Verhältnissen.

Die meisten Spender nehmen an, dass ein Großteil ihrer Spende beim Nutznießer ankommt und nicht von Verwaltungsgebühren aufgefressen wird. Gerade in Deutschland gehen viele davon aus, dass im non-profit Sektor lauter ehrenamtlich arbeitende Gutmenschen arbeiten. Doch dem ist nicht (nur) so.

Wer weiß, dass man in Deutschland schon dann als gemeinnützig gilt, wenn 50% der Gelder in gemeinnützige Zwecke fließen? Und das alle die Organisationen das Spendensiegel des DZI erhalten, die bis zu 35% ihrer Einnahmen für Werbung und Verwaltung ausgeben?

Wieviele Spender würden wohl noch der Mitgliedschaft bei einer Organisation zustimmen, wenn sie wüssten, dass nicht selten der gesamte erste Jahresbetrag an die Werber geht?

Konkurrenzkampf unter den Organisationen
Den Vorwurf, den Glück vielen Organisationen macht, ist, dass sie ihre:

„Hauptenergien nicht auf die Straffung des Verwaltungsapparats, die künftige Entbehrlichkeit der Hilfsarbeit oder andere Möglichkeiten zur Kostendämpfung legt …, sondern ganz überwiegend auf die Erschließung neuer und immer neuer Geldströme und die Pflege der bereits vorhandenen.“

Die Hilfsindustrie wächst schneller als das Spendenaufkommen und folglich führt der Konkurrenzkampf um Spender und Gelder dazu, dass immer mehr Geld für Fundraising verwendet wird: Gaben im Jahre 2000 die vom DZI zertifizierten Organisationen im Durchschnitt nur 9,1% für Fundraising aus, so sind es mittlerweile 16%.

Mit Slogans wie „Jeder Euro hilft“ kaschieren viele Organisationen diese Kosten. Nur wenige legen, wie z.B. die Welthungerhilfe, ihre Geschäfts- und Finanzberichte im Netz offen.

Weinende Kinder. Misshandelte Tiere
Der Spendenkomplex prangert aber auch an, dass viele soziale Initiativen ihre Spender massiv manipulieren. Werbebriefe – das erfolgreichste Spendeneintreib-Mittel – sprechen die Gefühle des Spenders mit gefühlsduseligen Bildern - weinende Kinderaugen und misshandelte Tieren - an. Die Darstellung fremder Lebenswelten verkommt zum Klischee. „An die Stelle des Mitgefühls tritt ein Surrogat aus Fakten, Propaganda und Gefühlsansprache.“ Daraus resultiert zum einen, dass die eigentlichen Ursachen der Lebensverhältnisse – die wir vielleicht ändern können – verschleiert werden. Diese Darstellung zementiert das stereotype Bild einer zweigeteilten Welt: Da ist auf der einen Seite der Westen – wohlhabend, aktiv, zupackend - und da ist der bemittleidenswerte Rest der Welt – passiv und arm.

Doch diese Sicht ist nicht nur grundlegend falsch – zahlreiche Grassroots Initiativen weltweit bezeugen, wie viele Menschen in ihren eigenen Gesellschaften versuchen Armut und soziale Missstände zu bekämpfen und dabei oft wesentlich effektiver sind als die fremden Helfer von außen. Sie führt auch oft dazu, dass weiße Helfer in Ländern des Südens als unerträgliche Bevormunder auftreten, die meinen, afrikanische Partnerorganisationen mit ihren eigenen Kommunikations- und Arbeitsmaßstäben belehren und disziplinieren zu müssen.

Wir im Westen nehmen uns das Recht heraus die Schicksalsgeschichten anderer Menschen, die nicht die gleiche Möglichkeit haben, sich darzustellen, weltweit zu präsentieren. Rumänische Heimkinder, in deren Namen Gelder gesammelt werden, haben keine Stimme. „Die Initiativen besitzen die von ihnen versorgten Schicksale und vermieten die an Paten,“ so die pointierte Aussage des Autors.

Das Engagement vieler kleiner Vereine betrachtet Glück differenziert. Einige von ihnen engagieren sich auf bewundernswert patente und transparente Weise. Ein Positivbeipiel, welches der Autor anführt, ist das auch auf betterplace erfolgreich Spenden einsammelnde Emukhunzulu Education Centre, das konkrete Antworten darauf liefert, was passiert, wenn die Spende das Portemonnaie verlassen hat.

Bei vielen anderen jedoch meint Glück eine stattliche Anzahl psychisch schwerkranker, vereinsamter Menschen entdeckt zu haben, die durch ihre aufopfernde Hilfe für andere versuchen ihr eigenes Leben aufzuwerten und deren Arbeit in den seltensten Fällen effektiv ist. Mit dieser speziellen, im not for profit Sektor durchaus verbreiteten Persönlichkeitsstruktur hängt es wohl auch zusammen, dass wenige Branchen so untereinander verstritten sind wie die der vermeintlichen Gutmenschen.

Teil 2 folgt.