"Die Exstase der Wahrheit" - Skoll World Forum 2009

Joana Breidenbach
28.03.2009

Gemeinsam mit Line, die seit den Anfängen von betterplace.org dabei ist und von Mallorca aus arbeitet, bin ich die letzten 3 Tage im Inspirationsstrudel des Skoll World Forums untergetaucht. Das SWF gilt als das Davos für Sozialunternehmer und während der letzten Tage wanderten 800 Delegierte mit ihren großen Skoll Forum Badges um den Hals in der Oxforder Innenstadt, zwischen dem modernen Gebäude der Said Business School, dem grandiosen Sheldonian Theatre (einem Christopher Wren Bau aus dem 17. Jh.) und einzelnen University Colleges hin und her.

Andere werden besser Buch geführt haben als ich – und alle Sessions sind aufgenommen worden - deshalb werde ich im Folgenden einfach ein paar der Highlights, die es in mein kleines Notizbuch geschafft haben, wiedergeben.

Skolls Sparschwein

Zur Begrüßungssession im Sheldonian stellte Initiator und Namensgeber Jeff Skoll (ebays erster Mitarbeiter und Präsident) ein Sparschwein aufs Rednerpult: In der Finanzkrise würde das Sparschein wichtige Lehren repräsentieren:

  1. es ist einfacher Geld hineinzutun als herauszubekommen: Sparschweine zwingen uns zum Gratifikationsaufschub.
  2. Es ist nicht hübsch, aber praktisch.

Skoll beschrieb die Chancenkluft und die Hoffnungskluft als die großen Herausforderungen unserer Zeit, die Sozialunternehmertum überwinden kann. Damit beschrieb er etwas, was schon Arjun Appadurai vor einigen Jahren als die „capacity to aspire“ bezeichnet hat: die essentiell wichtige Fähigkeit von Menschen sich alternative Lebensformen vorzustellen. Eine Fähigkeit, die Armen oft fehlt und die ihr größtes Handicap darstellt der Armut zu entkommen.

Roger Martin über falsche Gegensätze

Next was Roger Martin, Dekan der Rotman School of Management an der University of Toronto. Seine eloquente Botschaft: wir müssen falsche Gegensätze aufheben. Die bestehenden Modelle, mit denen wir die Welt verstehen, sind bestenfalls Annäherungen. Sie sind nicht die Realität. Baue bessere Modelle und lass Dich nicht auf falsche Dichotomien /Alternativen ein. Dabei bezog sich Martin auf Obamas erste Rede als Präsident: „We reject as false the choice between security and our ideals“.

Stattdessen sollten wir die macht des Paradoxen und der Widersprüchlichkeit entdecken und leben. Ja!

Brecher über ekstatische Wahrheit

Der inspirative Star des Abends, der bestimmt nicht nur bei mir Tränen erzeugte, war jedoch Kenneth Brecher, Anthropologe und Direktor des Sundance Institutes, die mich mit seinen weißen Haaren und der giftgrünen Brille an das Idol meiner Kindheit, David Bowie, erinnerte.

Wie, um Himmels willen, wird man nur Sozialunternehmer? fragte sich Brecher und zog den Vergleich zu Shackleton’s 1914 Arktik Expedition. Der veröffentlichte folgendes Inserat um eine Crew für die Endevour anzuheuern:

Men wanted for hazardous journey. Small wages. Bitter cold. Long months of complete darkness. Constant danger. Safe return doubtful. Honour and recognition in case of success.

So gehe es auch Sozialunternehmern. Was aber treibt sie an, diese Qualen auf sich zu nehmen?

Auf der Suche nach einer Antwort erzählte Brecher die bewegende Geschichte von Anna Aitmatova, die während der frühen Sowjetzeit und unter Stalin unsäglichen Leiden ausgesetzt war und dennoch zu einer der berühmtesten russischen Dichterinnen wurde, da sie beseelt war von dem, was Werner Herzog später mal die „Ekstase der Wahrheit“genannt hat (und hinzufügte: “Fakten sind für Buchhalter“).

In demselben Sheldonian Theatre, in dem wir saßen, wurde Aitmatova 1965 die Ehrendoktorwürde verliehen und da sie zu schwach war um die Stufen hinaufzusteigen um ihre Urkunde von den Professoren auf der Empore zu empfangen, wandelten die Oxforder das Ritual zum ersten mal ab und stiegen zu ihr herunter.

Zum Abendessen wurden wir auf 4 Colleges verteilt. Ich war in Keble College und konnte nicht umhin meine Kinder anzurufen und ihnen zu erzählen, dass ich mitten in Hogwards mit 200 anderen Delegierten zu Abend aß:

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Später am Abend holte mich dann eine andere Realität ein, denn mein Zimmer in Exeter College, von außen ebenfalls ein grandioser Bau, katapultierte mich dann doch eher in die Tristesse der Neuen Sachlichkeit.

Teil 2 folgt.