Die Macht von Social Media - Skoll World Forum, 3. Teil

Joana Breidenbach
28.03.2009

Am Freitag, dem letzten Tag des Skoll World Forums, blieb mir nur noch Zeit für die Morgensession zum Thema Technology and Shifting Power in a Hyper-Connected World.

Boulders and Pebbles
Nachdem der eigentliche Moderator des Panels verschlafen hatte, übernahm Autor Charles Leadbeater die Moderation und präsentierte seine Theorie der Kluft zwischen Pebbles und Boulder Businesses. Boulders, die riesigen Felsbrocken, sind das, was Bill Drayton in einer früheren Session als Dinosaurier bezeichnet hat, während pebbles, die kleinen Kieselsteine, die am Strand liegen, die höher entwickelten Säugetiere darstellen. Momentan versuchen viele Felsbrocken die sexy Kieselsteine in ihrem Geschäfts- oder Organisationsmodell zu integrieren (und tun sich meist sehr, sehr schwer). Als Beispiel nannte Leadbeater die große UK Charity Oxfam. Aber auch Kieselsteine müßten sich manchmal zu Felsbrocken entwickeln, so wie momentan gerade Barack Obama und der Ausgang dieser Metamorphose sei genauso ungewiß wie erstere.

Leadbeater hielt ein engagiertes Plädoyer für die Bedeutung von Technik in unserer heutigen Welt. Mobiltelefone revolutionieren den Bankensektor in Kenia, ebenso wie CDI (die auf dem Skoll Forum in höchsten Tönen gefeierteNGO von Rodrigo Baggio) die brazilianische Jugend verändert.

**Witness.org
Als nächstes war Yvette Alberdingk Thijm, Executive Director von Witness.org an der Reihe. Witness - See it, Film it, Change it - wurde von Peter Gabriel gegründet und gibt den Menschen, die bislang keine Stimme hatten, eine weltweite Plattform, auf der sie Menschenrechtsvergehen präsentieren können. Vor 15 Jahren fing die Organisation an, Menschenrechtsaktivisten auf der ganzen Welt Videokameras zu geben. Heute verteilen sie Flip Kameras (die ich Dank Jörgs Vorbild auch immer mit mir herumtrage), von denen es noch einfacher ist Filme sofort ins Netz hochzuladen. **

Yvette berichtete von einem der frühen Erfolge dieser Arbeit, die manchmal auch jenseits des Netzes stattfinden: im Ostkongo dokumentierte ein Filmemacher die Rekrutierung und Mißhandlung von Kindersoldaten durch die Truppen von Thomas Lubanda. Mit dem Film, einem Generator und einem weißen Tuch als Leinwand zogen sie von Dorf zu Dorf und mobilisierten die Bewohner gegen Lubanda. Dieser konnte daraufhin gefangen genommen werden und vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden.

Um ihre Organisation zu skalieren (“to scale” war eines der absoluten Zauberworte auf dem Forum), schließlich laufen mittlerweile 1 Milliarden Menschen mit Handys mit integrierten Kameras herum, gründete Witness The Hub, eine P2P Plattform, auf der schon große Erfolge erzielt werden konnten.

Erfolgsbeispiele
Als Beispiel zeigte Yvette den Fall eines Schwarzen in Oakland, der Anfang des Jahres wehrlos von einem Polizisten niedergeschossen wurde und dabei von einem Passanten aufgenommen worden war. Innerhalb von wenigen Minuten, nachdem der Film auf der Seite hochgeladen worden war, wurde die Geschichte lawinenartig verbreitet und die Polizisten umgehend verhaftet. In einem anderen Fall ging es um die Dokumentation einer unfreiwilligen und brutalen Häuserräumung durch Polizisten in Kambodscha. Da Regierungen aber natürlich auch immer mediengewandt werden und die Filme der Menschenrechtsaktivisten auch daraufhin untersuchen, wer an Aktionen teilgenommen hat (um sie dann zu schikanieren), werden in Protestaktionen die Gesichter der Teilnehmer von Witness ausgeblendet.

Die jemenitische Menschenrechtsorganisation Sisters Arab Forum, dokumentierte mit Flip Kameras die Verhaftung und langjährige Haftstrafe eines prominenten, kritischen Journalisten Alkewani. Witness veröffentlichte u.a. die Zeugenaussage seiner 6 jährigen Tochter. Die Geschichte wurde von der lokalen und internationalen Presse aufgegriffen und der Journalist letzen Sommer begnadigt.

Ja, aber /und …

Letzter Vortragender war Evgeny Morozov, Fellow am Open Society Institute, mit einem höchst interessanten und differenzierten Beitrag zu den oft techno-euphorischen Annahmen, wie das Internet unsere Welt verändern wird.

Annahme Nr.1: Daten organisieren sich selbst

Annahme Nr. 2: Technologie wird die öffentliche Sphäre demokratisieren

Annahme Nr. 3: Die Zivilgesellschaft wird zum Erblühen kommen

Grundtenor: Ja, aber/ und…

Daten können sich selbst organisieren, Bsp. Curehunter, sind aber nützlicher, wenn sie (teuer) von Experten nochmal aufbereitet werden, Bsp. Hakia Medical.

Selbstgenerierende Datensysteme wie Google Flu trends, Wikicrimes oder Ushahidi (crowed sourced Konfliktinformation, zuerst in Kenia, jetzt aber auch u.a. in Gaza eingesetzt), können manipuliert werden und sollten durch andere Quellen verifiziert werden (Wikipedia zeigt hier einen Weg, in dem man sehen kann, wieviel Information eines konkreten Autors in der Vergangenheit von anderen verändert oder gelöscht wurde).

Es gibt mittlerweile genügend Möglichkeiten die vermeindliche Neutralität des Netzes zu manipulieren. So bezahlen Firmen, aber auch Nichtregierungsorganisationen, wie die Coalition for Darfur, Webdienste wie Usocial, die dafür sorgen, dass ihre Links bei google Suchen an prominenter Stelle erscheinen.

Die Blogsphäre ist längst nicht so egalitär wie man meint. In The Myth of Digital Democracy (2009) beschreibt Matthey Hindman dass die Top-Blogger wesentlich besser ausgebildet sind als die CEOs der großen US Unternehmen. Haben nur 20% aller Zeitungskolumnisten einen Doktortitel, so sind es bei den einflußreichen Bloggern über die Hälfte!

Und natürlich werden die Feinde der Freiheit, totalitäre Regierungen, xenophobe Gruppierungen etc. auch immer mediengewandter und wenden die gleichen Techniken, die für eine Ausweitung der Zivilgesellschaft und bessere Information genutzt werden können, für das genaue Gegenteil an. Extremnationalistische Gruppen in Russland generieren Karten im Netz, auf denen die ethnische Zusammensetzung bestimmter Stadtteile dargestellt ist, Anti-Impfungs Videos auf YouTube verbreiten medizinische Falschinformationen, Dienstleistungen wie complaintremover.com beseitigen unliebsame Kommentare im Netz und die thailändische Regierung benutzt crowdsourcing um auf unbequeme Websites aufmerksam gemacht zu werden und diese zu bannen.

Fazit: Technologie an sich ist primär neutral und kann für fortschrittliche Zwecke ebenso eingesetzt werden wie für repressive. Aber da ich der festen Überzeugung bin, dass die meisten Menschen gut sind, wird erstere Nutzung hoffentlich dominieren.