Fernsehen tut gut

Joana Breidenbach
05.12.2009

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Nächste Woche bin ich in Fez, als Gast einer Talkshow im marokkanischen Fernsehen, und diskutiere über die Folgen der Globalisierung auf Kultur und Identität. Also nutze ich dieses Wochenende um mich mal wieder in die Globalisierungs-Literatur einzulesen.

Zerstört Fernsehen Kultur?
Ich liebe die Ethnologie/Anthropologie u.a. dafür, dass sie es sehr oft schafft mit völlig überraschenden Erkenntnissen aufzuwarten, die bestehende Wahrheiten widerlegen oder differenzieren. Eine davon ist die im Westen weit verbreitete Ansicht, der Einzug von Fernsehen würde in “traditonellen Gesellschaften” zu kulturellem Niedergang und sozialer Isolation führen. Statt um das Lagerfeuer herumzutanzen und den Mythen der Vorzeit zu lauschen, sähen die Menschen jetzt Baywatch und Werbung für unerreichbare Luxusgüter. Doch oft ist Fernsehen viel besser als sein Ruf - eine These, die durch ein paar spannende neue entwicklungspolitische Studien bestätigt wird.

Telenovelas: Effektive Geburtenkontrolle
So untersuchte die italienische Entwicklungsökonomin Eliana La Ferrara die Auswirkungen des brasilianischen Fernsehsenders Rede Globo auf die Familienpolitik ländlicher Brasilianer. Globo ist für seine Telenovelas berühmt, die im Land eine begeisterte Fangemeinschaft haben und deren Hauptdarsteller meist Frauen mit wenigen Kindern sind. Wann immer das Globo Netzwerk in einen neuen Teil des Landes expandierte und dort Seifenopern ausstrahlte, konnte eine Reduzierung der Geburtenraten beobachtet werden - insbesondere ältere Frauen und solche mit niedrigem Sozialstatus begannen die Telenovela-Heldinnen nachzuahmen und zu verhüten, mit positiven Auswirkungen auf die Lebensqualität, insbesondere der Mädchen und Frauen.

Frauen werden weniger geschlagen, mehr Mädchen gehen zur Schule
Vergleichbare Effekte sind auch im ländlichen Indien beobachtet worden. In denDörfern, in denen Kabelfernsehen verlegt wurde, waren die Frauen selbstständiger; sie verließen das Haus ohne um ihre Männer um Erlaubnis zu fragen und nahmen regeren Teil an wichtigen Entscheidungen im Haushalt. Auch hier konnte ein Geburtenrückgang verzeichnet werden und Frauen sagten weniger oft aus, sie würden einen Sohn einer Tochter vorziehen. Sie wurden seltener von ihren Männern geschlagen und mehr Mädchen wurden zur Schule geschickt.

Diese Veränderungen, so fassen Nicholas Kristof und Sheryl WuDunn die Studien zusammen, sind darauf zurückzuführen, dass Fernsehen neue Ideen in konservative und traditionelle Regionen hineinträgt. Vor dem Einzug des Fernsehens gaben 62% aller Frauen in den untersuchten Dörfern an, es sei für einen Mann akzeptabel seine Frau zu schlagen und 55% der Frauen wollten, dass ihr nächstes Kind männlich sei (die anderen wollten keine Tochter, ihn war es gleichgültig). Und 2/3 aller Frauen mussten ihre Männer um Erlaubnis fragen, wenn sie das Haus verlassen wollten. Kastentrennung und arrangierte Ehen waren die Norm.

Doch in den Seifenopern, die die Familien plötzlich im Fernsehen sahen, wurden sie mit Indern aus der Mittelklasse konfrontiert, in denen Frauen berufstätig sind und sich frei bewegen. Langsam setzte sich auch bei den Zuschauern die Vorstellung durch, dass Frauen gleichberechtigte menschliche Wesen sind. Die Autoren der Studie, Robert Jensen und Emily Oster von der University of Chicago, schreiben: “introducing cable television is equivalent to roughly five years of female education”.

Was lernen wir daraus? Sollen wir statt Schulprogrammen für Mädchen, jetzt lieber Kabelfernseher finanzieren? Nein - diese Studien zeigen nur, dass es viele Wege gibt, auf denen sich Menschen aus der Armut und Ungerechtigkeit befreien können. Wir sollten genau hinschauen, welche Ansätze welche Auswirkungen haben - und uns dabei auch überraschen lassen.