Fünf Prognosen zur Haiti-Hilfe - von Alexander Glück

Joana Breidenbach
20.01.2010

Im Zuge der Katastrophe in Haiti kommen über betterplace.org täglich sehr viele Spenden für Organisationen zusammen, die in der Nothilfe engagiert sind, von Care International über das Deutsche Rote Kreuz bis zu dem Bündnis Aktion Deutschland Hilft. Unser Gastblogger Alexander Glück setzt sich sehr kritisch mit diesem Thema auseinander. Bestimmt teilen nicht alle aus dem betterplace Team alle seine fünf Thesen, aber wir finden es wichtig, dass auch diese Sicht auf die Nothilfe-Aktionen eine Stimme bekommt und sind gespannt auf Eure Meinung:

Kaum schreibt man ein kritisches Buch zum Spendenwesen, steht schon die nächste Großspendenaktion ins Haus und bestätigt die Mechanik, die in “Die verkaufte Verantwortung” (Essen: Stiftung & Sponsoring, 2009) ausführlich beschrieben ist. Wenn die darin enthaltenen Aussagen stimmen, wird man sich demnächst auf Entwicklungen einstellen müssen, die folgende Prognosen zulassen:

1.. Es werden neue Spendenrekorde aufgestellt. Der Akuthilfe bringt das zunächst nichts.

Täglich signalisieren die Massenmedien, daß schon jetzt das Spendenaufkommen alle Erwartungen übersteigt, trotzdem blenden sie permanent Kontonummern ein, verknüpft mit wirkungsstarken Schicksalsbildern. Die Frontleute wie Anne Will, Thomas Gottschalk und als Bild-Kolumnistin sogar Angela Merkel verstärken den bereits vorhandenen Druck und rufen zu immer neuen Spenden auf, möglichst ohne Verwendungszweck, damit die Mittel für einen wirkungsvollen Einsatz verfügbar sind.

Die Probleme im Erdbebengebiet sind jedoch logistischer und technischer Natur, während die benötigten Ressourcen in großer Menge bereits vorhanden sind. Obwohl die Medien es suggerieren, rettet eine Geldzahlung, gleich in welcher Höhe, kein einziges jetzt noch verschüttetes Kind.

2.. Haiti steht vor einem tiefgreifenden Strukturwandel.

Die eingeworbenen Mittel finanzieren nicht die Soforthilfe, sondern füllen die Kassen der Initiativen, die damit langfristige Aufbauprojekte finanzieren. Das ist gut und hilfreich, wird jedoch kaum thematisiert. Mit dem Wiederaufbau gehen Verteilungs- und Zuteilungskonflikte einher; ohne funktionierende Strukturen wird es zu Ungerechtigkeiten und Begünstigungen kommen. Dabei spielt es eine wesentliche Rolle, daß es in Haiti eine Oligarchie gibt, die schon vor der Katastrophe auf Kosten der breiten Bevölkerung lebte und sich auch aus dieser Mittelverteilung zu finanzieren versuchen wird. Der kommende Strukturwandel kann alte Ausbeutungsverhältnisse überwinden helfen, dafür jedoch neue entstehen lassen.

3.. Initiativen, die nicht in Haiti engagiert sind, stehen vor einem Spendeneinbruch.

Wer für Haiti spendet, wird diesen Betrag nicht mehr für eine andere Initiative einsetzen können. So wichtig die Finanzierung von langfristigen Projekten in Haiti ist, gerät in der jetzigen Spendenhysterie schnell aus dem Blickfeld, daß sehr viele andere, ebenfalls dringende Projekte künftig deutlich weniger an Spenden einnehmen werden, weil sehr viele Menschen sich nach getaner Haiti-Spende gegen eine weitere Zahlung an ein anderes Projekt entscheiden werden.

4.. Die Haiti-Thematik wird daher vermehrt auch von dort inkompetenten Initiativen bedient werden.

Schon bei der Tsunami-Katastrophe konnte beobachtet werden, wie Werbeagenturen und Fundraiser verschiedene Initiativen zu einer Übernahme dieser Thematik gedrängt haben, um ihre Spendeneinnahmen zu steigern. Dies wird sich jetzt wiederholen. Die meisten dieser Initiativen sind jedoch auf dieses Engagement nicht vorbereitet und riskieren hinsichtlich ihrer Kompetenz einen Ansehensverlust.

5.. Haiti kommt dauerhaft unter Kontrolle der Vereinigten Staaten.

Die Militärpräsenz der USA in Haiti sichert augenscheinlich die jetzt erforderlichen Strukturen für eine schnelle und effektive Verteilung der benötigten Hilfe. Das geradezu invasionsartige Auftreten der US-Soldaten wird aller Voraussicht nach für mindestens zwei Jahrzehnte zum Dauerzustand werden und ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr in direktem Zusammenhang mit der Hilfe für die Erdbebenopfer stehen.

Alexander Glück

www.der-spendenkomplex.de.tt