Für eine selbstbestimmte Zukunft: Das „Netzwerk Schülerhilfe Rollberg“ in Berlin-Neukölln

Christina Wegener
31.08.2012

Das größte Problem, vor dem Gilles Duhem (45) und das Team des „Netzwerk Schülerhilfe Rollberg“ zunächst stehen, scheint banal: Die Kinder – und viele Eltern – müssen lernen, was ein Termin ist. Dass sie ihn einhalten müssen oder frühzeitig Bescheid sagen, wenn sie sich verspäten oder nicht kommen können. Sie müssen verstehen, warum Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit so wichtig sind.

„Denn wenn man sich nicht regelmäßig trifft, kann man nichts lernen. So einfach ist das“, erklärt Gilles Duhem. Dafür telefoniert das Büro des Fördervereins Gemeinschaftshaus MORUS 14 e. V. unermüdlich und konsequent Kindern und Eltern hinterher, wenn nötig täglich, lässt nichts schleifen und lobt sehr, wenn es – endlich – klappt. Dann entstehe ein sehr schönes Gefühl für beide Seiten: Man hat gemeinsam etwas geschafft, und es geht voran.

Der Förderverein Gemeinschaftshaus MORUS 14 e. V. ist ein Verein in Berlin-Neukölln, der seit 2007 das Projekt „Netzwerk Schülerhilfe Rollberg“ im gleichnamigen Kiez betreibt. Ehrenamtliche aus ganz Berlin, sogenannte Mentoren, engagieren sich hier für die Integration und Bildung der Grundschüler aus dem Kiez, geben Nachhilfe, spielen mit ihnen, unternehmen Ausflüge und sind Ansprechpartner.

Denn das Rollbergviertel ist ein sogenannter „Problemkiez“: Jeder dritte Bewohner ist arbeitslos, der Ton ist rau, der Kiez einer der ärmsten Stadtteile Berlins. Die Familien hier sind oft nicht in der Lage, ihre Kinder zu fördern, erzählt Gilles Duhem. Ihnen fehlen ­die Sprachkenntnisse, sie können sich kaum mündlich ausdrücken, schreiben so gut wie gar nicht – gleichgültig, ob es sich um Familien mit oder ohne Migrationshintergrund handelt. In vielen Familien liegen zudem Probleme wie Alkoholmissbrauch oder häusliche Gewalt vor. Andere Familien legen Gebote und Verbote im Islam eng aus, und die Welt reicht selten über die Großfamilie hinaus.

Die ehrenamtlichen Mentoren versuchen, mit ihrem Engagement aufzubauen, was die Familien der Kinder nicht leisten können. Es sind Studentinnen, Rentner, Hausfrauen, Lehrerinnen und Arbeitslose, die jeweils ein bis zwei Kinder betreuen. Sie treffen sich mindestens einmal in der Woche mit ihren jeweiligen Schülern, und das über einen längeren Zeitraum, oft sogar Jahre. Ganz regelmäßig und immer mit denselben Kindern.

Aber die Mentoren sind noch mehr: Sie sind Vertrauensperson und für die Kinder Zugang zu Bildung und Kultur – sie sind ihr „Mittelschichtkontakt“ in die Welt außerhalb des Kiezes und die Chance auf eine selbstbestimmte Zukunft.

69 sogenannte Mentoren (45 Frauen und 26 Männer) unterstützen derzeit um die 100 Kinder. Das sind etwa 13,4 % der Kinder und Jugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren aus dem Rollbergviertel (5.300 Einwohner). Weitere 21 Kinder stehen auf der Warteliste.

Gerade in der Grundschulzeit ist die Förderung der Kinder wichtig, erzählt Gilles Duhem. „Später ist der Zug abgefahren und die Chance vertan.“ Seiner Meinung nach entscheiden für die Kinder aus dem Kiez noch mehr als bei Kindern der Mittelschicht die ersten beiden Schuljahre über den weiteren Weg. Den richtigen zu finden, dabei helfen die Mentoren und das Team von MORUS 14.

Und der Einsatz der ehrenamtlichen Helfer und des Teams von MORUS 14 trägt Früchte: Soziale Kompetenz, Konzentration, Lernmethoden, Ausdauer, erhöhte Frustrationstoleranz sowie eine neue Kultur des Benehmens entstehen bei der beteiligten jungen Generation langsam aber sicher, so Gilles Duhem.

Damit die Arbeit fortgeführt werden kann, ist der Verein allerdings komplett auf Spenden angewiesen. Öffentliche Förderung gibt es keine. Der Verein hat daher für das „Netzwerk Schülerhilfe Rollberg“ auch ein Projekt auf betterplace.org angemeldet. Ganz aktuell werden dringend Mentoren gesucht.