Gesellschaft ohne Bürger

Joana Breidenbach
22.04.2009

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Registan, Samarkand

In den Osterferien reiste ich mit meinen Kindern und ihrem Freund Julius (alle natürlich bei betterplace.org junior aktiv;-) auf der Seidenstraße: von St.Petersburg nach Buchara, Samarkand und Taschkent in Usbekistan und von dort weiter über die atemberaubenden Bergpässe Kirgistans nach Kashgar in Nordwest-China. Eine tolle Reise mit 3 ständig gut gelaunten Teenagern, die selbst, als wir auf dem Rückweg in Novosibirsk hängen blieben und 34 Stunden non-stop unterwegs waren, cool blieben.

Der Trip war eine irre Mischung aus freundlichen Menschen, phantastischen islamischen Mausoleen, Medressen und Moscheen gepaart mit trister Ex-Soviet Modernität, gegorener Stutenmilch und ranzigem Hammelfett. Wirklich erschüttert aber hat mich das völlige Fehlen einer öffentlich sichtbaren Zivilgesellschaft.

Auf Reisen halte ich unweigerlich immer Ausschau nach sozialen Initiativen. In Usbekistan erkundigte ich mich bei der International School in Taschkent (laut Lonely Planet eine gute Quelle) nach guten Organisationen und Initiativen. Und bekam keine Antwort. In Samerkand interviewte ich die wunderbaren Schwestern des Antica Bed&Breakfasts - bekam die Adresse eines Invalidenvereins. Ich wußte zwar im Vorfeld, dass der nationale Tyrann Karimov seit den westlichen Protesten nach dem Massaker in Andischan die meisten westlichen NGOs des Landes verwiesen hatte und 10.000de Menschen wegen politischer “Delikte” in den Gefängnissen des Landes gefoltert wurden. Aber irgendwie hatte ich dennoch erwartet, en passant, auf das oder andere Projekt zu stoßen, welches wir über betterplace.org unterstützen könnten.

Die Reise zeigte mir, wie selbstverständlich ich (und gewiß viele Menschen weltweit) zivilgesellschaftliches Engagement erwarten. Dabei ist das Aufblühen der Bürgergesellschaft noch gar nicht so lange her. So richtig los ging es erst mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Doch innerhalb der letzten zwei Dekaden hat sich enorm was getan. Hier ein paar Beispiele:

  • Vor 20 Jahren hatte Indonesien nur eine einzige unabhängige Umweltorganisation, heute sind es über 2000.
  • In Bangladesh liegt der größte Teil der Entwicklungsarbeit in den Händen von 20.000 NGOs, die alle in den letzten 25 Jahren gegründet wurden.
  • Während der 90er Jahre wurden in Frankreich pro Jahr im Schnitt 70.000 neue Bürgervereinigungen gegründet, viermal so viele wie in den 1960er Jahren.
  • In Brasilien ist in den 1990ern (nach Ende der Diktatur) die Zahl der eingetragenen Bürgervereinigungen von 250.000 auf heute 1 Millionen angestiegen.

Wie sehr wünsche ich den Usbeken (und eigentlich fast ebenso den Russen und Chinesen), dass sich diese Entwicklung in ihren Ländern fortsetzt!