Kleine Feldstudie in Jenin

Joana Breidenbach
28.10.2009

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In der Küche des Cinema Jenin Guest House

Seit 3 Tagen bin ich in der palästinensischen Stadt Jenin und besuche Cinema Jenin eines der Projekte, um das wir uns im letzten Jahr im betterplace Inkubator besonders gekümmert haben. Nachdem ich soviel über die Renovierung des Kinos in der Westbank gehört und die Macher des Projekts, Fakhri Hamad und Marcus Vetter, auf viele verschiedene Veranstaltungen begleitet hatte, war ich extrem gespannt vor Ort am Geschehen teilzuhaben.

Das Kino, in einem stattlichen Bau mitten im Stadtzentrum gelegen, ist mittlerweile weitgehend renoviert. Gleich um die Ecke wurde in den Sommermonaten ein wunderschönes Haus zum Cinema Jenin Guest Houseumfunktioniert. Hier wohnen die vielen, meist deutschen Volunteers, die sich im Wochen- oder Monatstakt abwechseln. Darunter z.B. zwei junge Filmemacherinnen, die gerade die Geschichte einer israelischen Frau recherchieren, deren Mann bei einem Selbstmordattentat ums Leben kam und die sich entschlossen hat, die in Jenin lebende Familie des Mörders zu besuchen. Einige von den ehrenamtlichen Mitarbeitern pendeln schon seit eineinhalb Jahren regelmäßig zwischen Deutschland und Jenin hin und her, um die Renovierung und Ausstattung des Kinos voranzutreiben, aber auch um Workshops mit Jugendlichen abzuhalten. Sie werden ergänzt durch eine bunte Mischung aus Einheimischen und (wenigen in Jenin lebenden) Expats, die besuchsweise vorbeikommen.

Was wollen die Leute im Kino sehen?
Meine Aufgabe bestand darin, eine Kurzstudie zur Akzeptanz des Kinoprojekts in der Bevölkerung zu machen und insbesondere die Erwartungen und Vorstellungen, wie das Kino genutzt werden soll, zu erfragen. Jenin ist als eine sehr konservative Stadt bekannt - die Mehrzahl der Frauen tragen Kopftuch, Märtyrerbilder zieren das Straßenbild, während den Intifadas kamen viele der Selbstmordattentäter aus Jenin. Das Freizeitangebot in Jenin ist bislang auf heimische TVs, Restaurants und private Feiern beschränkt, umso höher sind die Erwartungshaltungen an das Kino. Aber: Welche Filme sind in einer Gesellschaft akzeptabel, in der es undenkbar wäre, dass ein junger Mann mit seiner Freundin gemeinsam ein Kino besucht? Können Männer und Frauen gemeinsam im Kino sitzen, oder sollte es getrennte Vorführungen, bzw. Sitzplätze für Frauen und Familien geben?

Mit Feda, einer jungen selbstbewußten Übersetzerin an meiner Seite, unterhielt ich mich in den nächsten Tagen mit einer großen Bandbreite von Bewohnern: von Markthändlern und jungen Unternehmern über Frauen aus den umliegenden Dörfern bis hin zu Vertreterinnen von NGOs und DVD-Verkäufern. Dabei entstand ein differenziertes Profil: Ja, viele wollen einfach nur die neuesten amerikanischen Actionfilme sehen, im Wechsel mit ägyptischen Komödien und ein paar Bollywood-Filmen. Zugleich aber wünschen sie sich gute Dokumentarfilme für ihre Kinder, Komödien für die ganze Familie und ausgewählte palästinensische Filme, von deren Existenz sie zwar wissen, die sie aber selbst noch nie gesehen haben. Überhaupt war die Mehrzahl der von mir Interviewten, bzw. ihre Kinder noch nie in einem Kino gewesen.

Kino auf dem Dach
Sehr spannend wurde es dann an den Abenden, als wir in einer deutsch-palästinensischen Gruppe Filme sahen, um zu überlegen, mit welchem Programm das Kino im Sommer 2010 eröffnet werden soll. Einer von Marcus’ Lieblingsdokumentarfilmen The Monastry fiel bei den arabischen Zuschauern durch: zu langsam erzählt, lautete das einstimmige Fazit. Dafür punktete Die Erde. Der britsche Kinderfilm Son of Rambo gefiel den palästinensischen Zuschauer, dafür waren aber die Reaktionen von den Deutschen sehr gespalten. Einstimmig für spannend und relevant erklärt wurde dagegen Persepolis, die Lebensgeschichte einer jungen Iranerin vor und nach der islamischen Revolution.

Meine Interviewpartner hatten alle den besonderen “cultural code” betont, den es in Jenin zu beachten gäbe, d.h. Nackt- und Liebesszenen seien inakzeptable. Nun kamen solche Szenen fast in jeden der Filme vor, auch wenn sie keine besondere inhaltliche Bedeutung hatten und ich fand es hochinteressant zu sehen, was von den arabischen Zuschauern jeweils als “völlig ok” oder inakzeptabel angesehen wurde. Nun wird es noch mal spannend, wenn der Mufti von Jenin die von uns vorselektierten Filme zur Auswahl bekommt.