Konkrete Spende - schlechte Hilfe?

Joana Breidenbach
27.09.2009

In den letzten Wochen habe ich mehrmals Gespräche darüber geführt, ob die konkreten Bedarfe, die bei betterplace gespendet werden oder die in unseren Weihnachtsaktionen von Unternehmen übernommen werden, nicht eine falsche Sicht auf die Arbeit von Nichtregierungs- und Entwicklungshilfeorganisationen fördern. Ja, auf betterplace kann man sehr konkret 1 Gitarre oder 1 Schuluniform spenden. Und dabei mag es manchem Spender nicht in den Sinn kommen, dass auch die Institution, die die Spenden entgegen nimmt, finanziert werden muss. Auf einer Roundtable Veranstaltung der Kommunikationschefs einiger großer deutscher Hilfsorganisationen wurde mir zu Denken gegeben, dass konkrete Einzelspenden für die Entwicklungshilfe der 1960er und 1970er Jahre charakteristisch gewesen sei, heute die NGOs ihre Spender aber dahingehend informieren würden, dass Organisationen an sich, um gute Arbeit zu leisten solide finanziert werden müßten.

Plädoyer für konkrete Bedarfe
Partiell stimme ich dieser Argumentation zu. Ja, Projektarbeit kann nur gut durchgeführt werden, wenn stabile Institutionen dahinter stecken. Dennoch muss man hier sehr differenzieren. Nachdem ich vor einiger Zeit schon mal eine Lanze für unsere Bedarfe gebrochen habe (Zauberwort: Transparenz), da sie eine Kultur der Rechenschaft fördern, hier ein weiteres Plädoyer für konkrete Bedarfe.

  1. Konkrete Bedarfe müssen sich nicht auf greifbare Sachspenden beschränken.
    Jeder Organisation oder Initiative auf betterplace ist es überlassen, was sie als Bedarfe einstellen. Manche sind sehr konkret und veröffentlichen einfache, nachvollziehbare Bedarfe - die eine Schuluniform, die eine Nähmaschine - die wie einzelne Geschenke unterm Weihnachtsbaum präsentiert werden könnten. Oft ist das völlig gerechtfertigt, da es sich um sehr kleine Grassroots-Initiativen handelt, bei denen wirklich der eine Tisch oder Stuhl benötigt wird. Größere Organisationen haben dagegen die Möglichkeit ihre Bedarfe auch abstrakter darzustellen, z.B. als Ausbildungspauschale (hier für das muslimische Seelsorgetelefon in Berlin).

  2. Auch Bedarfe, die unsexy sind, werden bespendet
    Ja, wahrscheinlich werden die meisten Menschen eher ein Kuscheltier bespenden, als eine Elektrizitätsrechnung, aber es gibt auch genügend Spender, die wissen, dass Büroausstattung und Infrastruktur extrem wichtig sind und die diese deshalb bespenden. Deshalb stellen auch viele Organisationen solche Bedarfe auf unserer Plattform ein.

Erstaunliche Experimente - Lieber ein Kind retten, als acht.
Eines ist klar: Individuelle Geschichten und konkrete Bedarfe kommen beim Spender gut. Dazu gibt es viele Experimente: In einem davon wurde einen Menschen in Gruppen aufgeteilt, die um verschiedenes gebeten wurden:

  • Spenden Sie 5 US$ um den Hunger in der Welt zu beseitigen.
  • Spenden Sie 5 US$ an Rokia, ein siebenjähriges Mädchen in Mali.
  • Spenden Sie 5 US$ an 21 Millionen Afrikaner um Hunger zu lindern.
  • Spenden Sie 5 US $ an Rokia, ein Schicksal, dass symptomatisch für den globalen Hunger ist (hier wurden einige Statistiken gezeigt)

Wesentlich mehr Menschen waren bereit Geld für ein einziges Mädchen auszugeben, als für die anderen Optionen und selbst in dem letzten Fall (wo ebenfalls das eine Mädchen das Geld erhalten sollte) verweigerten sich viele, da die Schilderung des größeren Zusammenhangs in dem Hunger auftritt, abschreckend wirkte.

Ebenso erstaunlich ist ein anderes Experiment: Hier wurden Menschen gefragt, ob sie 300.000 US dafür verwenden würden 1 Kinderleben zu retten, oder 8. Zweimal so viele Menschen sprachen sich dafür aus mit dem Geld nur ein Leben zu retten, als acht!

Sozialpsychologen, so schreiben Nicholas Kristof und Sheryl WuDunn in ihrem gerade erschienen Buch Half The Sky(mehr dazu bald), erklären dieses Verhalten damit, dass unser Bewußtsein und ethischen Instinkte auf individuelle Geschichten anspringen und diesbezügliche Entscheidungen in einem Teil des Gehirns gefällt werden, der von dem für Rationalität und Logik getrennt ist. Dies kann man soweit experimentell nachvollziehen, als das Untersuchspersonen, die aufgefordert wurden, sich mit Mathematik zu beschäftigen, im Anschluss signifikant weniger spendeten.

**Was folgt daraus?

  1. Es ist Aufgabe von Organisationen und einer Plattform wie betterplace, Spender zu informieren, was für gute Projektarbeit notwendig ist und sie in ihrem individuellen Weg die Welt zu verbessern, zu begleiten.**

Ich sehe es als unsere Aufgabe bei betterplace an, Unterstützer darüber zu informieren, welche Art von Hilfe wie nachhaltig wirkt. Vor diesem Hintergrund finde ich es völlig legitim, wenn eine Spenderin bei einem ersten Spendenvorgang einer Organisationen einen Sandsack zum Boxen spendet. Ich wünsche mir, dass die Projektverantwortlichen, ebenso wie wir von betterplace, uns aber ebenso um ein Verständnis davon bemühen, was für gelungene Projektarbeit notwendig ist.

Bei Firmen haben wir da einige Beispiele. Zu unserer letzten Weihnachtsaktion 2008 spendeten eine Reihe von Unternehmen Kindern in deutschen Heimen konkrete Weihnachtsgeschenke. Das erfreut die Kinder, ist aber aus Sicht der involvierten Pädagogen und Organisationen keine nachhaltige Hilfe. Deshalb bemühen wir uns unsere Unternehmenspartner dafür zu gewinnen, sich noch aktiver einzubringen, z.B. indem Mitarbeiter ehrenamtlich im Kinderheim mitarbeiten und so langsam eine Beziehung aufgebaut wird, die in einen differenzierteren Dialog über die Bedürfnisse der sozialen Arbeit mündet.

Vom punktgenauen Helfen übers Skalieren bis zur Ursachenbekämpfung
Burkhard Gnärig, GF des Berlin Civil Society Centers, zeichnet eine parallele Laufbahn für viele Philanthropen auf: er beschreibt in Wie finde ich die Organisation, die ich unterstützen möchte?, dass viele Spender am Anfang ihres aktiven sozialen Engagements gerne konkrete Projekte bespenden, die sie besuchen können und in der ihr individueller Beitrag spürbar ist. Mit der Zeit sehen viele, dass es effektiver sein kann, ganze Programme zu unterstützen, da Einzelprojekte wesentlich schwieriger Anerkennung finden und um Sektor nicht als richtungsweisend wahrgenommen werden. In einem weiteren Schritt möchten sie eventuell sogar das allgemeine Umfeld, in dem das zu beseitigende Problem liegt, langfristig beeinflussen und unterstützen Lobby- und Kampagnenarbeit, z.B. im Bereich von Gesetzesänderungen oder den Umweltpraktiken großer Konzerne.

Ich sehe betterplace.org als eine Plattform an, auf der jeder Unterstützer seine Organisation und sein Projekt finden kann - egal ob es sich um ein konkretes Projekt wie die Choki Art School in Bhutan handelt, ein umfassenderes Programm wie die Barefoot Colleges oder Lobbyarbeit wie die von Wadinet gegen Genitalverstümmelung im Irak. Alle diese Ansätze können Unterstützung verdienen - und ich finde es spannend Spender darin zu begleiten, dass sie immer besser wissen, wieso sie welchen Hebel wählen.