Mohamads Kampf für Syrien

Kirsten Mieves
02.08.2012

Mohamad sitzt in einem kleinen Kairoer Zimmer. Eine große Narbe überzieht seine rechte Gesichtshälfte. Dort, wo die Kugel eines syrischen Soldaten am 25. April 2011 sein Gesicht zerschossen hat, die Lippe und die Wange zerfetzt, das Jochbein, den Kiefer und die Zähne zertrümmert. Die Wunde schmerzt noch immer, und es wird noch lange dauern und viele Operationen brauchen, bis er wieder einigermaßen normal essen und sprechen, normal leben kann. Wenn man von einem normalen Leben unter diesen Umständen überhaupt reden kann.

Mohamad ist Syrer, und bevor die Unruhen im Land begannen, war der 25-Jährige Student der englischen Literatur. Er kommt aus Daraa, jener kleinen Stadt im Süden Syriens, in der im März 2011 die Proteste begannen. Mohamad war von Anfang an dabei. Und nun führt er seinen Kampf von Kairo aus fort.

Kinder wurden verhaftet und gefoltert

„Eigentlich bin ich nicht besonders politisch“, erzählt er, „aber das Unrecht, das den Kindern und ihren Familien wiederfahren ist, hat mich so wütend gemacht.“ Im Februar 2011 sangen einige Kinder auf ihrem Schulhof das Motto der ägyptischen Revolution, das sie im Fernsehen gehört hatten: „Das Volk will den Sturz des Regimes.“ Sie waren nicht älter als zwölf, und sie wurden von Sicherheitskräften verhaftet und gefoltert. Die Eltern flehten den Leiter der Sicherheitskräfte an, ihre Kinder freizulassen. „Macht doch neue“ war die Antwort. Die Eltern gingen daraufhin zum Gouverneur und baten ihn, ihnen zu helfen, oder sie würden auf die Straße gehen. Der Gouverneur hörte ihnen nicht zu.

Am folgenden Freitag, dem 18. März 2011, strömten die Eltern und viele Unterstützer nach den Freitagsgebeten aus der Omari-Moschee in Daraa auf die Straße und demonstrierten. Mohamad war unter ihnen, um die Forderungen der Eltern zu unterstützen. „Wir waren nicht mehr als 200 Leute“, erzählt Mohamad, „wir waren friedlich und unbewaffnet.“ Doch plötzlich knallten Schüsse: Sicherheitskräfte schossen scharf in die Menge. Vier Menschen wurden getötet und viele weitere verwundet. „Ich war geschockt, als ich das viele Blut sah und die Kaltblütigkeit der Sicherheitskräfte. Ich rannte davon“, erzählt Mohamad. „Aber dann wurde ich sehr wütend.“

Und so schloss sich Mohamad auch am nächsten Tag wieder den Menschen auf der Straße an. Sie demonstrierten für die Freiheit der inhaftierten Kinder – und dieses Mal auch für die Toten des ersten Tages. Wieder schossen die Sicherheitskräfte scharf. Wieder gab es Tote und Verletzte. Und so ging es weiter, am Tag darauf und an den folgenden Tagen. Jedes Mal gingen mehr Menschen auf die Straße, und Mohamad war stets unter ihnen. Um zu demonstrieren und auch, um festzuhalten, was geschah: Zusammen mit Freunden machte er Bilder, filmte und stellte alles ins Internet, damit die Welt erfährt, welches Unrecht in Syrien geschieht. Fünf Wochen lang demonstrierte Mohamad unter dem Beschuss der Sicherheitskräfte, dokumentierte und ging wieder auf die Straße. Fünf Wochen lang, bis zu jenem Tag im April 2011.

25. April 2011, 10:59 Uhr

Mohamad und seine Familie wurden an diesem Tag sehr früh von Explosionen und Schüssen geweckt. Mohamad eilte nach draußen, um zu sehen, was vor sich ging. Er sah eine Straßensperre: Ein Stück die Straße runter waren Reifen aufgestapelt, fünf Panzer standen dort und viele Soldaten. Hinter der Barriere – dort, wo das Stadtzentrum lag – stieg eine große Rauchsäule auf. Menschen sammelten sich auf der Straße, unter ihnen Mohamad: „Ich war wütend, denn die Straßensperre trennte mich vom Stadtzentrum; ich machte mir Sorgen um meine Freunde, die auf der anderen Seite der Sperre waren, dort, wo der Rauch aufstieg.“ Und er wollte festhalten, was geschah. Mit dem Handy in der Hand näherte er sich zusammen mit den anderen der Sperre, den Soldaten und Panzern. Etwa 50 Menschen waren sie mittlerweile. „Da eröffneten die Soldaten das Feuer, schossen willkürlich in die Menge. Die Menschen rannten um ihr Leben“, erzählt Mohamad.

Mohamad selbst warf sich auf den Boden, robbte auf eine kleine Mauer zu, um Schutz zu finden. Die ganze Zeit hielt er das Handy in der Hand und filmte. „Ich konnte nicht genau sagen, von wo die Schüsse kamen, um mich war Chaos, Menschen rannten, Rauch war in der Luft“, erzählt Mohamad. „Plötzlich spürte ich einen furchtbaren Schmerz im Gesicht, ich konnte nicht mehr richtig sehen und roch verbranntes Fleisch.“ Eine Kugel hatte ihn mitten ins Gesicht getroffen. Mohamad schaffte es, andere Demonstranten auf sich aufmerksam zu machen. Leute kamen angerannt, wuchteten ihn auf einen Pick-up und rasten ins nächste Krankenhaus, wo seine Wunde in aller Eile mit ein paar Stichen genäht wurde. Dann drängte man ihn dort, das Hospital schnell wieder zu verlassen. Syrische Sicherheitskräfte durchkämmten die Krankenhäuser, auf der Suche nach Demonstranten, um sie zu verschleppen, zu foltern, zu töten.

Ab diesem Zeitpunkt befand sich Mohamad auf der Flucht. Halb zusammengeflickt, mit geschwollenem Gesicht, in der ersten Zeit nicht in der Lage, seinen Mund zu öffnen, und mit furchtbaren Schmerzen. Zunächst versteckte er sich mit seiner Familie einige Wochen bei Verwandten, trennte sich jedoch dann von ihnen, um kein Risiko für sie zu sein. Er reiste mit dem Bus nach Damaskus und floh von dort nach Kairo, wo er im Mai 2011 ankam. Weg von den syrischen Häschern. Aber auch weit weg von seiner Familie, seinen Freunden, seiner Heimat.

Kampf und Überleben in Kairo

Nun lebt Mohamad in einem kleinen Zimmer in der ägyptischen Hauptstadt. Über ein Jahr ist seine Flucht aus Syrien her. Und er kämpft weiter für sein Land. „Mohamad hat einen unbändigen Willen“, erzählt eine Freundin, Marion, die ihn in Kairo kennengelernt hat, „er tut alles, was er kann, um die Menschen in seiner Heimat zu unterstützen.“ Mohamad berichtet der Welt auch aus dem ägyptischen Exil heraus von den Geschehnissen in Syrien, von dem Unrecht und der Gewalt, die den Menschen dort widerfahren. So wie er es in Syrien vom ersten Tag an getan hat. Zusammen mit anderen syrischen Aktivisten arbeitet er in einem News Office, das vertrauenswürdige Nachrichten aus Syrien an Nachrichtensender liefert und in sozialen Medien verbreitet. Bald wollen sie mit einen Online-Radio-Sender live gehen. Mohamad tut das mit vollem Eifer. Aber er tut es auch unter großen Schmerzen und Entbehrungen.

Mohamads Wunde ist in Ägypten zwar weiter behandelt worden. Marion, die Freundin, hat für ihn ein Spendenprojekt auf betterplace.org angelegt (mohamad.betterplace.org), und so konnten über Spenden bereits wichtige Operationen finanziert werden, ein Teil seiner Hüfte ist ihm in den Kiefer eingesetzt worden. Aber weitere Operationen sind dringend nötig: Noch immer kann er nicht richtig essen und sprechen, und nach wie vor leidet er starke Schmerzen. Seit März 2012 hat er zudem die Verantwortung für seinen jüngeren Bruder. Dieser ist zu ihm geflohen, als er für den Militärdienst eingezogen werden sollte. Mohamad hat zwar einen kleinen Job als Übersetzer gefunden, aber es reicht kaum für die beiden zum Leben. Mit fünf anderen teilen sie eine kleine Wohnung und kommen mehr schlecht als recht über die Runden. Zudem quält ihn die ständige Sorge um seine Familie in Syrien, die sich kaum aus dem Haus traut, und um seine Freunde, von denen bereits vier getötet wurden. Sein bester Freund ist vor vier Monaten verschleppt worden, niemand weiß, was mit ihm ist, ob er noch lebt.

„Mohamad ist ein sehr starker und offener Mensch“, berichtet Marion, „und er tut alles, um seinem Land auch aus der Ferne zu helfen. Aber Mohamad braucht dabei Hilfe.“

Mohamad benötigt dringend weitere Operationen. Damit er wieder richtig essen kann, richtig sprechen, damit die Schmerzen erträglich werden und er weiter von Kairo aus für sein Land kämpfen kann. Damit es eines Tages vielleicht wieder ein normales Leben gibt. Für Mohamad und seinen Bruder, für seine Familie, seine Freunde. Für Syrien.

Hier könnt Ihr helfen: mohamad.betterplace.org.

Foto: Agata Skowronek

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Kirsten Mieves von betterplace.org

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