Sommerlektüre: Muhammad Yunus Die Armut besiegen

Joana Breidenbach
01.08.2008

Von allen Institutionen und Instrumenten zur Armutsbekämpfung war die Grameen Bank mit ihren Mikrokrediten an (mittlerweile fast 7 Millionen) mittellose bangladesische Frauen, die erste, für die ich mich begeisterte. Ina und ich beschrieben ihre Arbeit in Tanz der Kulturen und seit Mitte der 1990er verfolgen wir nicht nur die weltweite Verbreitung von Mikrokreditinstitutionen, sondern auch die vielfältigen anderen Aktivitäten von Muhammad Yunus.

Als ich jetzt Yunus neues Buch Die Armut besiegen in die Hand nahm, packte mich wieder die gleiche Begeisterung für die Ideen des ehemaligen Wirtschaftswissenschaftlers und Bank-Pioniers. Ausgehend von demJoint Venture Grameen Danone, welches seit 2007 in Bangladesch lokal produziertes, nahrhaftes Jogurt an arme Kinder zu erschwinglichen Preisen verkauft, beschreibt Yunus sein Konzept des Sozialunternehmens.

Für Yunus, ein Befürworter des freien Unternehmertums und der (regulierten) Globalisierung, sind die herkömmlichen Instrumente – von profitorientierten Unternehmen, über Nichtregierungsorganisationen und multilaterale Institutionen bis hin zu Staaten - zur Bekämpfung der vielen gravierenden sozialen Probleme nicht geeignet. Stattdessen entwirft er das Bild einer neuen Art von Unternehmen, dem Sozialunternehmen:

Was ist ein Sozialunternehmen?

Die Organisationsstruktur dieses neuen Unternehmens ist im Grunde dieselbe wie die des herkömmlichen gewinnorientierten Unternehmens. Nur verfolgt es andere Ziele. Wie andere Unternehmen beschäftigt es Arbeitskräfte, erzeugt Güter oder erbringt Dienstleistungen und stellt diese seinen Abnehmern zu einem Preis zur Verfügung, der sich mit seiner Zielsetzung deckt. Aber sein grundlegendes Ziel – und das Kriterium, an dem seine Leistungen gemessen werden sollten – besteht darin, den sozialen Bedürfnissen jener zu dienen, deren Leben es berührt. Das Unternehmen selbst kann Gewinne erzielen, aber die Investoren, die es mit Kapital ausgestattet haben, nehmen keinerlei Gewinne aus dem Unternehmen heraus, die über die Rückerstattung ihrer ursprünglichen Investition hinausgehen. (25)

Yunus tritt für eine Trennung zwischen Sozialunternehmen und sozialem Unternehmertum ein. Letzteres bezeichnet jede innovative Initiative zur Unterstützung hilfsbedürftiger Menschen, z.B. wenn ein Pharmakonzern kostenlos Medikamente an bedürftige Personen verteilt. Auch wenn in der Theorie Mischformen zwischen gewinnorientierten und sozial nützlichen Unternehmen denkbar sind, sieht Yunus in der Praxis die Gewinnmaximierung immer über den sozialen Nutzen obsiegen. Da die beiden Ziele fast unweigerlich miteinander konkurrieren und unsere vorhandenen Kennzahlen (wie Buchführungsmethoden und -standards) ausschließlich um wirtschaftlichen Profit kreisen, während die Messung sozialen Nutzens noch in den Kinderschuhen steckt, spricht er sich für eine klare Trennung der beiden Unternehmensformen aus.

Ein weiterer Vorteil eines klar abgegrenzten Modells ist, dass es schwierig ist, durch vorgeschobene Zwecke in der Öffentlichkeit einen falschen Eindruck zu erwecken. Von einem Sozialunternehmen werden die Investoren keinen Ertrag erwarten, sollte es Einnahmen erzielen.

Sozialunternehmen werden auf demselben Markt tätig sein wie die herkömmlichen gewinnorientierten Unternehmen. Sie werden mit diesen (und untereinander) konkurrieren und versuchen, sie zu überflügeln und ihnen Marktanteile abspenstig zumachen. Sie werden das Unternehmensspektrum vergrößern und den Markt zu einem interessanteren, komplexeren und wettbewerbsintensiveren Ort machen.

Wer wird Sozialunternehmen gründen?

Im Laufe des Buches beschreibt Yunus nicht nur die mittlerweile 30jährige Geschichte der Grameenbank und ihrer vielen Tochterunternehmen, wie Grameen Phone und Grameen Health Care Services, sondern entwirft darüber hinaus einen Strategieplan für zukünftige Sozialunternehmen. Manche werden von bestehenden Unternehmen gegründet werden (wie die Kooperation zwischen Grameen und Danone), andere werden von Stiftungen, einzelnen Unternehmern oder wohlhabenden Personen im Ruhestand ins Leben gerufen, die mit gewinnorientierten Unternehmen Erfolg gehabt haben und sich nun entschließen, ihre Kreativität und Managementkenntnisse an einem Sozialunternehmen zu erproben.

betterplace ist ein Sozialunternehmen

Bei der Lektüre wurde mir zum einen bewusst, dass betterplace genau in die Definition des Sozialunternehmens fällt: auch wir haben ein Unternehmen mit einem sozialen Ziel gegründet, welches nachhaltig sich selbst tragen soll. Mögliche Gewinne werden in das Unternehmen selbst re-investiert

Zum anderen wird deutlich, wie hartnäckig und lange (3 Dekaden) Yunus an seinem Modell gearbeitet hat, bis es die heutige, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete, Erfolgsgeschichte werden konnte. Immer wieder wurde das System verändert und im Dialog mit Mitarbeitern und potentiell Begünstigten verändert. In vielen Bereichen, wie zum Beispiel der Gesundheits- oder Energieversorgung, laufen bis heute mehrere Programme nebeneinander, um herauszufinden, welches System am besten funktioniert.

Anhand des ausführlich skizzierten Fallbeispiels der Kooperation zwischen Danone und Grameen wird deutlich wie die Expertise eines konventionellen Unternehmens für ein innovatives Sozialunternehmen fruchtbar gemacht werden kann. Innerhalb eines einzigen Jahres erforschten Danones Marktexperten gemeinsam mit Grameen Managern den bangladesischen Markt, bauten eine innovative kleine Yogurt Produktionsanlage, von der lokale Milchproduzenten proftieren und erschlossen mit Hilfe des gigantischen Netzwerks von Grameen-Kreditnehmerinnen eine völlig neue Vertriebsstruktur für den Verkauf des kostengünstigen, mit Nährstoffen angereicherten Yogurts, welches an arme, unterernährte Kinder vertrieben wird.

Nach der Lektüre dieses Case Studies möchte man am Liebsten von Unternehmen zu Unternehmen gehen und mit ihnen gemeinsam eine Reihe von zu ihnen passenden Sozialunternehmen gründen!

Yunus Traum eines Sozialaktionsforum gibt es schon: betterplace.org

Zum Schluss seines Buches entwirft Yunus einen Aktionsplan für jeden Einzelnen, der von einer besseren Welt träumt. Er sieht ein so genanntes Sozialaktionsforum im Internet, auf dem Menschen sich zusammentun um ein lokales Problem in Angriff zu nehmen.

Ich habe vor, eine Website einzurichten, auf der Sie Ihr Sozialaktionsforum regisitrieren können. Sie können Ihren Jahresplan erläutern, Ihre Vorstellungen festhalten, über enttäuschende und ermutigende Erfahrungen berichten, ihre Fortschritte schildern und Fotos zu Ihrem Projekt präsentieren. … Die Website steht allen interessierten Personen jederzeit offen, damit sie Kontakt zu den aktiven Foren aufnehmen können. … Gibt es in Ihrer Nachbarschaft ein verlassenes Grundstück auf dem Abfall abgeladen wird, der ein Infektionsherd ist? Gründen Sie ein Forum für die Sanierung dieses Grundstücks, um es als öffentlichen Park, Spielplatz oder Recyclingzentrum nutzbar zu machen. Wenn Sie in einem Entwicklungsland leben, kann das Aktionsprogramm für Ihr Forum darin bestehen, einem Bettler bei der Suche nach einem Arbeitsplatz … einen Schulabbrecher zur Fortsetzung seiner Ausbildung zu bewegen, einem kranken Menschen Zugang zu medizinischer Versorgung zu verschaffen oder … die Wasserqualität in Ihrem Dorf zu verbessern. … Manche Sozialaktionsforen werden klein bleiben … andere werden stetig wachsen, und einige werden sich in erfolgreiche Sozialunternehmen verwandeln …(277)

Diese Vision deckt sich in vielem mit der von betterplace. So musste ich bei Yunus’s Satz, manche Ideen könnten „weltweiten Einfluss … erlangen, indem sie innovative Ideen für die Bewältigung eines gravierenden Problems entwickeln,“ an unser WTO-Projekt denken, welches nach marktbasierten Lösungen sucht, dem weltweiten Sanitärnotstand entgegenzuwirken.

Fazit: Ein gut lesbares, eindrucksvolles Buch, dem man wünscht, dass es möglichst viele Menschen inspiriert ihr Geld und ihre Expertise in den Aufbau von Sozialunternehmen zu stecken.