Soziales Engagement als Ego-Kosmetik

Joana Breidenbach
15.04.2009

Die Versuchung der ostentativen Hilfsbereitschaft

Sie hat ihren ganz eigenen Reiz, die Frage, warum es so oft aufeinandertrifft, daß derselbe Mensch in den sichtbaren Bereichen vorbildlich altruistisch erscheint, in den unsichtbaren Bereichen hingegen kaum Ambitionen hat, sich für andere einzusetzen. Ehrenamtliche Helfer und die Mitarbeiter der als sozial angesehenen, oft auch kirchlich geprägten Organisationen verdienen mit ihrem Tun gesellschaftliche Anerkennung, und sie bekommen sie auch, insbesondere bei solchen Gelegenheiten, wo sie ihre Zugehörigkeit zum großen sozialen Werk äußerlich sichtbar machen können. Der Gelegenheiten gibt es einige, und schon deshalb finden sich beispielsweise in den Dienstvorschriften der Rettungsorganisationen Hinweise, daß man die Dienstkleidung nicht in der Freizeit tragen darf. Nun ist aber der Weg zum Dienst und von dort nach Hause Auslegungssache, und da kann es schon einmal passieren, daß die Rotkreuz-Sanitäterin Natascha Erlenbieger* ihr Töchterlein in voller Rettungsdienstmontur aus der Turngruppe abholt.

Das wäre für sich genommen nicht besonders bemerkenswert, aber gelegentlich kann man beobachten, wie diese zur Schau gestellte altruistische Haltung durch die Verhaltensmuster in den privaten Angelegenheiten stark relativiert wird. Dann wird die Samariter-Attitüde nämlich richtig interessant: Dieselbe Natascha bot zwar mit viel Menschenfreundlichkeit einer anderen Familie an, regelmäßig deren Kind mit in den Kindergarten zu nehmen, weil sie diese Strecke ja ohnehin fährt — stellte diese Gefälligkeit dann jedoch von heute auf morgen und ohne jeden Blick auf die damit zusammenhängenden Folgen per SMS wieder ein, inklusive totalem Kontaktabbruch. Natürlich ist niemand verpflichtet, fremder Leute Kinder herumzufahren. Aber die Begleitumstände sagen etwas darüber aus, was von solchen selbst gemachten Angeboten, ihrer Handhabung und plötzlichen Entziehung zu halten ist. Das vordergründig soziale, empathische oder mitmenschliche Engagement verkommt dann zum Etikettenschwindel, vielleicht zum Selbstbetrug. Und möglicherweise sind Kern und Wesen des scheinbaren Sozialen eben weit mehr im Egoismus zu suchen als in der Bereitschaft, sich wirklich in seine Mitmenschen hineinzuversetzen. Allzuleicht entsteht dann in diesen Menschen das Gefühl, zuviel für andere zu tun, womöglich ausgenutzt zu werden.

Ich tue Gutes, weil ich es mir wert bin
Über die inneren Strukturen des Egoisten nachzudenken, kann einiges Licht in Verhältnisse bringen, die vielen als terra incognita erscheinen müssen. Wenn es Formen des sozialen Engagements gibt, die tatsächlich in der Ichbezogenheit des Menschen wurzeln, wie es schon vor dreihundert Jahren Mandeville in seiner Bienenfabel zu zeigen versucht hat, dann schmälert dies die realen Wirkungen dieses Engagements in der Regel nicht. Es wäre jedoch ein bemerkenswerter Befund, wenn sich die verschiedenen Formen sozialer Aufopferung wenigstens zum Teil durch den Egoismus des sozial Tätigen erklären ließen. Dann ist aber zu fragen, wieso der Helfer den mit sozialen Taten verbundenen hohen Aufwand zu tragen bereit ist und inwieweit sein Egoismus denn gerade durch diese Tätigkeiten bedient würde.

Am Anfang steht nur die Beobachtung, daß Intensität und Prinzipien der sichtbaren altruistischen Betätigung sich von denen des privaten, vermeintlich unsichtbaren Handelns gravierend unterscheiden können. Da engagieren sich Menschen geradezu liebevoll für die medizinische Versorgung streunender und vollkommen entsozialisierter rumänischer Hundstiere, fangen aber innerhalb des von ihnen gegründeten Vereins beim kleinsten Anlaß furchtbare Beißereien an, die in sehr vielen Fällen zu langen Streitereien und Vereinsspaltungen geführt haben. Da macht sich im Internet eine schier unerträgliche Sammel- und Darstellungssucht im Zusammenhang mit Unterstützungspatenschaften breit, aber hinter der Projektionsfläche zeigt sich oft ein anderer, oft gar nicht sozial eingestellter Mensch. “Ostentation”, von der sich das ostentative Helfen ableitet, bedeutet nicht nur Schaustellung, sondern eben auch Prahlerei.

Nur aus einer Laune heraus
Ähnliches ist auch bei Susanne Niedertiefentaler* zu sehen: Im Beruf arbeitet sie in der Sozialstation einer katholischen Hilfsorganisation, der das Engagement von Mensch zu Mensch seit langer Zeit ein besonderes Anliegen ist. Sie ist so hilfsbereit, daß sie sogar für ihren halbstarken Sohn die Zeitungen austrägt, wenn der mal keine Lust hat, und zu Feierlichkeiten rührt sie zwanghaft noch irgendeine Mousse an, obwohl es schon zwanzig Dessertschüsseln gibt — die Leute könnten ja schlecht über sie denken. Warum sie für mehrere Kinder in ihrem Bekanntenkreis das Taufpatenamt übernommen hat, weiß sie möglicherweise selbst nicht, denn sie hatte kein Problem damit, sich ebenso schnell und ohne Angabe von Gründen von solchen Verpflichtungen wieder zu befreien. Patenkind und Eltern hörten keinen Mucks mehr, auch nach mehrfacher Nachfrage nicht, und dieser Wendung war nichts vorausgegangen, was irgendwie als Problem oder Konflikt hätte gedeutet werden können. Wieder ging die zur Schau getragene Selbstaufopferung mit Kontaktstörung und Abschottung einher, mit dem absichtlichen Entziehen der eigenen Person aus den Verhältnissen der Mitmenschen.

Es lohnt sich schon, einen Blick darauf zu werfen, ob die Außenansicht eines helfend Tätigen mit seinen inneren Eigenschaften korreliert oder ob sich Unterschiede und Inkohärenzen zeigen. Wenn sich der Hauptantrieb zum Engagement aus dem Egoismus speist, wird nicht nur der Zweck der Hilfsarbeit ins Gegenteil verkehrt (nämlich von der Besserstellung des Empfängers hin zur Besserstellung des Gebers), sondern es nimmt auch die Integrität dieser Arbeit ab — dadurch nämlich, daß jemand, der im Extremfall nur noch für das eigene Ansehen wirkt, den Hilfsorganisationen und Leistungsempfängern kein wirklich verläßliches Angebot macht. Er setzt sich ein, solange er Lust dazu hat, davon profitiert oder von Fundraisern, die seine Motive durchschauen, wirkungsvoll “motiviert” wird. Ist dies nicht mehr der Fall, nimmt das Engagement deutlich ab. Andere Aktivitäten werden wichtiger, das altruistische Arbeiten tritt in den Hintergrund. Wie starke Anstrengungen inzwischen unternommen werden müssen, um Spender bei Laune zu halten, spiegelt sich unter anderem darin wider, daß der Kostenanteil für Werbung, den die vom DZI zertifizierten Organisationen in ihren Bilanzen ausweisen, von 2000 bis 2008 um 76 % emporgeschnellt ist. Bei überwiegend intrinsischer Motivation der Spender wäre so eine Tendenz sehr verwunderlich.

Soziales Handeln, keimfrei und appetitlich
Es gibt noch weitere Gründe für die Verlagerung des Sozialen von innen nach außen, an die Oberfläche. Dort draußen findet die Betätigung aber auch in ungefährlicher Form statt: Man braucht die Zustände und Schicksale nicht in sein Innerstes eindringen zu lassen. Man behält Einsatzbereitschaft und Aufwand (an Zeit, Leistung und finanziellen Mitteln) unter Kontrolle und kann das Engagement sofort einstellen, wenn sich die eigene Bedürfnislage geändert hat. Und nicht zuletzt: Soziales Handeln, sichtbar gemacht auf der außenliegenden Projektionsfläche, wird sehr oft durch Organisationen und Fundraiser keimfrei und appetitlich hergerichtet und romantisiert, es kann also mit einem gewissen Erlebniswert und drastischer Steigerung des Selbstwertgefühls betrieben werden. Mit einer nach außen gestülpten, kontrollierbaren sozialen Betätigung beschmutzt man sich nicht und wird auch nicht krank.

Man mag es für einen einträglichen Weg halten, daß im Fundraising darauf geachtet wird, genau diese Affekte und Motive zu stärken, zu bedienen und auszunutzen. Praktisch alle Patenschaftsorganisationen haben sich einen geschmeidigen Stil im Umgang mit Konflikten angewöhnt und bedienen Klischees hinsichtlich der Lebensbedingungen in Entwicklungsländern und der Aufwertung des Spenders durch seine Tat. Es birgt aber ein gewisses Risiko, wenn man die Beziehung zwischen Spender und Organisation als Tauschbeziehung ansieht und die Spende als Bezahlung in einem Kaufgeschäft. Solche Konstruktionen führen nicht nur dazu, daß sich die Ansicht etabliert, daß dem Spender dann eben auch etwas verkauft werden muß, nämlich Anerkennung, Selbstwertgefühl, Integration, Partizipation, Emanzipation und noch einiges mehr. Sie führen auch dazu, daß der Spender seine Wohltätigkeit als Konsumform begreifen kann und sein Tun von den Gegenleistungen abhängig macht. Der egoistisch disponierte Wohltätige spendet, indem er konsumiert, und er konsumiert, indem er spendet — sein Handeln verfehlt das eigentliche Ziel des Sozialen, nämlich die vorrangige Besserstellung des Anderen.

Wie sieht die Zukunft aus?
Es ist eine gründliche Überlegung wert, in welche Richtung sich eine Spendenkultur dieses Zuschnitts bewegen wird. Denn auch hier kann man annehmen, daß die Hilfe auf tönernen Füßen steht und sofort wegbricht, wenn die Anreize nicht mehr ausreichen, wenn andere Konsumbereiche wichtiger werden oder wenn die eigenen Mittel für eine Weiterführung des Engagements nicht mehr langen. Gerade vor dem Hintergrund der Finanzkrise wird sich noch herausstellen, ob die vom Fundraising beabsichtigten Partizipationstendenzen zur festen Bereitschaft geführt haben werden, sich für die Belange anderer Menschen einzusetzen.

*) Namen geändert

Bei diesem Beitrag handelt es sich um Auszüge eines Essays, das Alexander Glück in der aktuellen Ausgabe von “Stiftung & Sponsoring” veröffentlicht (www.stiftung-sponsoring.de)). Vom selben Autor ist erhältlich: Der Spendenkomplex. Das kalte Geschäft mit heißen Gefühlen. Berlin: Transit-Verl., 2008. ISBN 978-3-88747-234-4. www.der-spendenkomplex.de.tt. Im September 1009 erscheint im Verlag “Stiftung & Sponsoring” sein neues Buch: “Die verkaufte Verantwortung: Das stille Einvernehmen im Fundraising”.