The Blue Sweater - Philanthropie und Markt

Joana Breidenbach
13.07.2009

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Als ich vor einer Woche in Berlin meinen Koffer packte, hatte ich ernsthafte Sorgen der Fluggesellschaft eine satte Gebühr für Übergepäck bezahlen zu müssen. Seit Monaten stapeln sich in meinem Arbeitszimmer die Bücher, die ich in den Ferien hier in Südfrankreich lesen will. Nach einer Runde Belletristik – The Women, das neueste Buch des begnadeten T.C. Boyle über die Frauen von Frank Lloyd Wright - war als erstes Sachbuch des Sommers The Blue Sweater. Bridging the Gap Between Rich and Poor in an Interconnected World an der Reihe, eine Art Biographie der Acumen Fund Gründerin Jacqueline Novogratz.

Amerikaner, die die Geschichte ihrer Weltverbesserer-Laufbahn aufschreiben, verfallen oft in eine Art Erweckungsrhetorik – so beispielsweise Room to Reads John Wood in Leaving Microsoft to Change the World. Auch Novogratz ist davor nicht gefeit und an einigen Stellen wünschte ich mir, sie wäre weniger edel und gut, ihr Pfad weniger gradlinig und aufopferungsvoll. Dennoch ist die Lektüre über ihre mittlerweile zwanzigjährige Erkenntnisreise durch die Welt der Entwicklungszusammenarbeit und Armutsreduktion, über weite Stellen lohnend. (Und anders als John Wood, der in seinem Buch überhaupt nicht auf die Arbeit vor Ort - z.B. in Nepal und Vietnam – eingeht und über alle Hindernisse und Herausforderungen beim Aufbau von Room to Read hinwegwischt (gab es die etwa nicht?), erscheint Novogratz’ Darstellung der vielen Widersprüche und gescheiterten Versuche wesentlich realistischer).

Investments in Sozialen Fortschritt

Für alle, die den Acumen Fund nicht kennen: Der 2001 von der Rockefeller Stiftung, der Cisco Stiftung und einigen engagierten Privatpersonen mit über acht Millionen Startkapital ausgestattete Fond investiert in Organisationen und Individuen, die das Potential haben, in großem Stil sozialen Wandel zu initiieren. Im Gegensatz zu herkömmlichen philanthropischen Ansätzen, investiert Acumen dabei sowohl in for-profit, als auch not-for-profit Organisationen und Sozialunternehmer, die sich einer strengen Qualitätskontrolle und Rechenschaftspflicht unterwerfen und messbaren, skalierbaren Fortschritt anstreben. Unter den bekanntesten Investments finden sich der Aufbau und Vertrieb von Bewässerungstechnologien fürs ländliche Indien und die Finanzierung von A to Z Textiles in Tanzania, dem mittlerweile größten afrikanischen Mückennetz-Produzenten.

Lernen, auf die harte Weise

Nach einer frühen, erfolgreichen Karriere bei einer amerikanischen Großbank, beschließt die damals 25 jährige Novogratz nach Afrika zu gehen und dort Mikrokredit-Organisationen für Frauen aufzubauen. Doch in Kenia und der Elfenbeinküste, ebenso wie in Ruanda, begegnet ihr nicht nur teilweise massiver Widerstand lokaler Entwicklungshelfer (die keine Weiße auf dem Führungsposten der African Development Bank sehen wollen), sie ist auch mit den Absurditäten staatlicher Entwicklungszusammenarbeit konfrontiert. Evaluiert sie großangelegte internationale Programme, z.B. von UNICEF und kommt zu dem Schluß, dass diese nicht nur unproduktiv, sondern sogar kontraproduktiv sind, dann stößt sie nur zu oft auf lokale Regierungsbeamte und internationale Entwicklungshelfer, die an dem System nichts ändern wollen und an einer Effizienz– und Effektivitätssteigerung scheinbar überhaupt nicht interessiert sind.

Die blaue Bäckerei

Zugleich wird sie mit der Apathie und dem geringen Selbstwertgefühl von Frauen in Ruanda konfrontiert, die sie als Kunden für die neu gegründete Frauenbank Duterimbere gewinnen will. Novogratz möchte Mikrokredite nicht nur dafür verwendet sehen, dass eine Marktfrau mehr Tomaten oder Reis verkaufen kann. Sie möchte bei den Frauen unternehmerische Energien freisetzen, so dass diese wiederum selbst neue Jobs schaffen. Also wendet sie sich an eine Frauenkooperative, die bis dato von Entwicklungshilfegeldern finanziert, Backwaren herstellt und vertreibt. Als sie zum ersten Mal in der Bäckerei vorbeischaut sitzen dort 20 Frauen in einem engen Zimmer zusammen und warten auf Kundschaft. Es gibt keine ausgelegten Waren, keine Werbung – nichts außer ein paar Beignets (Schmalzgebackenes), Samosas und Waffeln, die jeden Morgen zubereitet werden um dann von den Frauen in ein paar Regierungsgebäude als vormittäglicher Snack feilgeboten zu werden – Knoppers auf Ruandisch.

Die Frauen verdienen 0.50$ am Tag, zu wenig um damit ihre oft vielköpfigen Familien zu ernähren. Aber selbst bei diesen niedrigen Einkünften verliert das Projekt Geld – an die $650 im Monat. Die Differenz wird von zwei Hilfsorganisationen gezahlt und die Kooperative bangte jedes Mal von neuem, ob die Unterstützung verlängert wird oder nicht. Novogratz überzeugt die Leiterin die Gelder der Hilfsorganisationen abzulehnen und gemeinsam ein eigenes Geschäftsmodell zu entwickeln.

Zuerst gilt es die Kundenbasis zu vergrößern: Da die Frauen zu schüchtern sind um Kunden zu werben, zieht die Amerikanerin mit ihnen los und gewinnt in Botschaften und internationalen Organisationen zusätzliche Abnehmer für eine (um Bananen- und Kassavachips) erweiterte und in leuchtend orangenen Körben dargebotene Produktpalette.

Die Einnahmen steigen, doch da einige Frauen Gelder privat einstecken, muss ein Kontrollsystem entwickelt werden. In Workshops versucht Novogratz ihnen Marketingskills zu vermitteln, scheitert jedoch, weil die Frauen meinen, es sei nicht Teil der „ruandischen Kultur“ Fremden in die Augen zu sehen oder diese direkt anzusprechen. Nichts desto trotz wird die Bäckerei nach einigen Monaten profitabel und langsam beginnen die Frauen an ihren eigenen Erfolg zu glauben und sich nicht nur als letztes Glied und Opfer ihrer Gesellschaft zu fühlen, welche gerade mal mit westlichen Almosen überleben kann. Schlußendlich wird das Haus der Kooperative auch noch zu einem leuchtend blau angestrichenen Backladen für Laufkundschaft umgewandelt und die begehrtesten Produkte der Bäckerei werden an viele kleine Läden Kigalis geliefert und dort verkauft. Nach 8 Monaten hat sich der Tagesverdienst der Frauen von US$0.50 auf US$2 gesteigert, eine Summe, die nur wenigen Frauen in Ruanda zur Verfügung steht.

Feedback und Incentivierung durch Marktmechanismen

Viele der gescheiterten Fälle von Entwicklungshilfe hängen damit zusammen, dass einer Bevölkerung Infrastrukturtechnologien – seien es Brunnenpumpen oder Hirsemühlen - geschenkt werden, diese aber, einmal defekt, von der lokalen Bevölkerung nicht repariert werden können. Oder teures Benzin zur Unterhaltung der Technologie verwendet werden muss, welches sich vor Ort niemand leisten kann. Weder Hilfsorganisationen noch Regierungsstellen müssen für die geleistete Hilfe effektiv Rechenschaft abliefern und je mehr Novogratz in die Mechanismen der Charities Einblick erhält, desto überzeugter ist sie, das das bestehende Hilfssystem eine niedrige Erwartungshaltungen der Bevölkerung und (bestenfalls) mittelmäßige Resultate produziert. Im Gegensatz dazu sind Marktmechanismen nicht nur zur Incentivierung der Bevölkerung besser geeignet, sondern bieten auch den Finanzgebern die Chance, besseres Feedback zu erhalten, ob die finanzierten Maßnahmen funktioniert haben oder nicht.

Zurück in den USA fängt Novogratz für die Rockefeller Stiftung an vierwöchige Workshops in effektiver Philanthropie zu geben. In diesen Workshops kommen jeweils 8-10 Philanthropen zwischen 28 und 50 Jahren zusammen, die strategisch effektiv in sozialen Fortschritt investieren wollen – mittlerweile haben über 150 wohlhabende Menschen aus der ganzen Welt sich auf diese Weise darin ausbilden lassen, wie ihr Spendeneuro am nachhaltigsten und wirksamsten eingesetzt werden kann. Einige dieser Individuen unterstützten Novogratz dann auch bei der Gründung des Acumen Funds.

Ein Venture Capital Fund für ein Armen

Acumen versteht sich als ein Venture Capital Fund für die Armen: der Fund sammelt Spendengelder und investiert sie als Darlehen, Spende oder Unternehmensanteil in Organisationen, die von herausragenden Individuen geleitet werden und die sich mit den großen zeitgenössischen Problemen beschäftigen: mit low-income Bevölkerungen, die keinen Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Anlagen, adäquater medizinische Vorsorge oder Versorgung haben. Neben dem finanziellen Engagement bietet Acumen Hilfestellung im Managementbereich an und vernetzt Produzenten mit Marktpartnern und potentiellen Kunden. Sobald die initialen Investments zurückgezahlt werden können, werden sie in andere Unternehmen, die den Armen zu gute kommen, reinvestiert.

Dabei ist ein wichtiges Prinzip nicht nur in einzelne Projekte, sondern in Organisationen zu investieren und letztere zu stärken. Ohne stabile Institutionen wird der soziale Sektor nicht erfolgreich sein können. Ebenso wichtig erscheint mir Acumens Praxis, sowohl in for-profit als auch in not-for-profit Organisationen zu investieren. Die Unterscheidung zwischen beiden muss keine grundsätzliche sein: in manchen Fällen erscheint es sinnvoll eine Dienstleistung oder ein Produkt als (kostenlose) Spende zu verteilen, während es in einer anderen Situation sinnvoller sein kann, wenn sie kostenpflichtig verkauft werden:

„There is a powerful role both fort he market and for philanthropy to play … philanthropy alone lacks the feedback mechanisms of markets, which are the best listening devices we have; and yet, markets alone too easily leave the most vulnerable behind.“