Treffpunkt Toilettenmonument – Toiletten und Unabhängigkeit in Nairobi

Anica Samleit
22.03.2011

Gastblog: Rafael Ziegler leitet die sozial-ökologische Forschungsgruppe GETIDOS (Universität Greifswald & IÖW Berlin) und ist in Nairobi geboren. Für uns berichtet er zum Weltwassertag von Toiletten in Nairobi - und was daran besonders ist.

Stellen Sie sich vor, dass erste Monument einer Metropole ist eine Toilette und alle gehen hin. 2010 besuchten über eine Million Nutzer Toilettenmonumente in Kenias Hauptstadt Nairobi - von Sozialunternehmer David Kuria gebauten öffentlichen Toiletten. Damit sind seine toilet monuments das meistbesuchte Monument der Hauptstadt. Kuria will mehr: seine Monumente sollen zu einer Demokratisierung der Politik beitragen. Sanitärversorgung, sagt Kuria Gandhi zitierend, ist wichtiger als Unabhängigkeit.

IkotoiletMarketDagoreti1Unabhängigkeit als Freiheit von nicht legitimer Herrschaft fesselt 2011 weltweit die Aufmerksamkeit, und ist in Kenia seit der Kolonialzeit ein zentrales Thema. Das Land erlangt 1963 die Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft. Daran erinnert in der Hauptstadt der zentral gelegene Uhuru-Park (Unabhängigkeits- oder Freiheitspark) sowie direkt neben diesem ein Mausoleum für Jomo Kenyatta, dem ersten Präsidenten der neuen Republik. Sind die Kenianer unabhängig und frei? Die Forderung nach Freiheit von Fremdherrschaft kann die Frage was für Freiheiten denn nun positiv gefordert werden nicht ersetzen. Insbesondere bleibt Unabhängigkeit ohne ausreichende Ernährung, Wasserversorgung und Behausung kein zukunftsfähiges Ideal . . . und eben auch nicht ohne einen geschützten Raum für die Notdurft, kurz: Toiletten.

Aber welche Unabhängigkeitsbewegung kämpft schon für Toiletten? Die Notdurft ist mit Schamgefühl verbunden. Heißt nicht Erwachsenwerden auch: lernen, alleine auf die Toilette zu gehen? Vielleicht gibt es sogar ein Bedürfnis nach Alleinsein am „stillen Örtchen“. Wir reden lieber vage über Unabhängigkeit als gewagt über Toiletten.

Damit ergibt sich die Problemlage, die Gandhis Zitat anspricht: Unabhängigkeit ist ohne Befriedigung von Grundbedürfnissen nicht dauerhaft zu haben. Aber gerade Toiletten wird man sich scheuen lautstark einzufordern, selbst dann wenn sie wie die öffentlichen Toiletten in Kenia in desolatem Zustand sind oder gänzlich fehlen. Also was tun?

Kurias Idee: Toilettenmonumente. Seit 2007 baut der Architekt und sein Unternehmen Ecotact ikotoilets: Toiletten, die ein Grundbedürfnis erfüllen – ikotoilets bieten üblicherweise jeweils vier Toiletten für Frauen und Männer, eine Dusche, eine Behindertentoilette, Waschbecken und Seife - und gleichzeitig als markante Gebäude im Stadtbild hervorstechen.

Mittlerweile stehen Kurias wuchtige Toilettengebäude an zentralen Stellen Nairobis. Seine Monumente integrierten weitere Dienstleistungen: Schuhputzservice, Kiosks, und „Airtime“ für die heißgeliebten Mobiltelefone. Das Toilettenmonument ist auch eine „toilet mall“ (Kuria). Wer mal muss, bemerkt Kuria, kann nun sagen, dass er kurz was kaufen geht. Ein erster Weg „über“ Toiletten zu reden?

Die Geschäftsidee kommt gut an. Kurias Toiletten, sagt anerkennend ein Souvenirverkäufer in Nairobis Central Park, sind ein echtes Geschäft. Hier werde Geld verdient und Jobs geschaffen. Ein „real Business“, das ist in Kenia ein großes Lob. Es ist ein Monument, über das man gerne redet und das weitere Unternehmen anzieht. Der Nairobi City Council erhält jeden Monat Anträge von Unternehmen für die Eröffnung oder Übernahme weiterer öffentlicher Toiletten.

IkotoiletUhuruPark2Der Souvenirverkäufer arbeitet in Nairobi neben dem Nyayo-Monument, das an die ersten Jahre der Moi-Regierung erinnert. Welches Bedürfnis es erfüllen soll, scheint die heutige politische Klasse freilich vergessen zu haben: vom Nyayo-Monument bröckeln die Fließen. Im Gegensatz zum Nyayo-Monument, warten Putzmännern und Putzfrauen permanent die toilet monuments. Denn der Erhalt von Kurias Toiletten-Monumenten hängt auch davon ab, ob ausreichend Sauberkeit und Sicherheit die Zahlungswilligkeit der Nutzerbesucher erhält. 5 Shilling (5 Cent) kostet ein Besuch. In 5 Jahren muss Ecotact die Baukosten – circa 18 000 Euro pro Monument - für die Toiletten wieder einnehmen und gleichzeitig die laufenden Kosten tragen. Kuria ist mit der Stadt Nairobi eine Public-Private Partnership eingegangen. Ein Geschäftsmodell, purely on hygiene, wie er sagt.

Purely (rein) ist ein Lieblingsadjektiv von Kuria. Urin und Fäkalien sind für ihn Ressourcen. Sein Endziel: die Nutzerbesucher für ihre Ressourcen bezahlen zu können. Um aus dem in den Toiletten gesammelten Urin Dünger herstellen zu können, kooperiert Ecotact mit der kenianischen Jomo Kenyatta Universität in einem Forschungsprojekt. Außerdem hat das Unternehmen an erste Toiletten Biogasanlagen angeschlossen. Die Toilette als Ressourcenmonument.

Dieses Monument soll betreten und genutzt werden. Und tatsächlich herrscht in der seiner Toilette im Uhuru Park reger Betrieb. Um die 20 000 Menschen besuchen es pro Monat. Auf der anderen Straßenseite findet sich ein weiteres Monument: das Mausoleum von Jomo Kenyatta, dem legendären ersten Präsidenten. Es ist eingezäunt, und wird bewacht. Ein Besuch des Mausoleums ist für den Normalbürger nicht möglich.

ikotoiletNAtionalArchive3Wie andere Monumente dienen die Toilettenmonumente der Orientierung im öffentlichen Raum: Treffpunkt Toilettenmonument. Im Februar 2011 wird am Markt von Dagoreti in der Peripherie Nairobis ein Toilettenmonument eröffnet. Auf dem Markt werden Gemüse, Obst und Kleider verkauft. Oberhalb des Marktes befinden sich Nairobis bekannteste Schlachthöfe. Man kauft sich hier gerne frisch ein paar „kgs“. Kurias Toilettenmonument ist das höchste Gebäude auf dem Marktplatz. Es ist von überall sichtbar wie die Kirche in einer europäischen Stadt. Und wie diese als solche sofort erkennbar: McToilet. Die Grundstruktur deutet das Dach einer traditionellen Hütte an, erklärt Gerald Ndung‘u, Architekt bei Ecotact. Unabhängigkeit beginnt zu Hause. Die Grundfarbe Ziegelrot erinnert an die rote kenianische Erde, und schluckt den in Nairobi allgegenwärtigen Staub. Tango Orange verstärkt die Sichtbarkeit, und vergrößert optisch den Eindruck der Fenster für die Durchlüftung. Über dem Eingang steht ein Flaggenschild mit dem Logo.

Vor der Eröffnung der ikotoilet auf dem Markt von Dagoreti berichtet eine Verkäuferin, dass sie an Markttagen möglichst nichts esse und trinke, um nur nicht auf die Toilette zu müssen. Die einzige öffentliche Toilette auf dem Markt ist in einem unwürdigen Zustand. Mit Blick auf Kurias Monument fragt sie, ob hier ein Hotel oder ein Bank eröffnet werde. Die Toilettenmonumente werden in einer Reihe mit den Tempeln moderne Städte wahrgenommen. Toiletten als neueste Innovation für die Entweihung alles Heiligen in der Kultur des Kapitalismus? Monumente für Toiletten statt Kirche und politischem Kult? Sicherlich – allerdings wird damit gleichzeitig die profane Notdurft erhöht und gewürdigt.

Ein Toilettenmonument steht gegenüber dem Hilton-Hotelturm in Nairobis central business district Kurias Prachtstück ist ein „Toiletten-Tempel“, der als Motiv die Säulen des nahegelegenen nationalen Archivs übernimmt – und im Gegensatz zum gegenüberliegenden Hilton-Turm fast allen Kenianern zugänglich. Die Toilette als egalitäres Gegenmonument für das moderne Leben im Kapitalismus? Es ist ein Monument für den Alltag, das Grundbedürfnisse würdigt, über das gesprochen wird, das gewartet und betreten wird, als Treffpunkt dient und erschwinglich ist.

5 Shilling sind ein Preis, den viele Kenianer gerne für saubere und sichere Toiletten ausgeben und dafür sogar dankbar sind. Wie sich belegen lässt, denn dieses Monument hat ein Gästebuch. In diesem würdigen Besucher vor allem, dass die Toilette sauber sei – „pure“ würde Kuria wohl sagen. „Great job, proud to be Kenyian“, hat eine Frau der Toilette ins Buch geschrieben. Toiletten und kenianische Demokratie? Machen Toiletten(monumente) unabhängiger und Demokratisieren die Politik im Sinne einer auf Grundbedürfniserfüllung ausgerichteten Politik? In der Stadt Nanyuki sollte ein neu eröffnete ikotoilet wieder geschlossen werden. Daraufhin kam es zu einer Demonstration, die erfolgreich die Wiedereröffnung der Toilette einforderte: Toiletten als laute Orte für die Demokratisierung der Politik?

5 Shilling sind viel Geld für die Bewohner der Slums von Nairobi. In einem von ihnen, Mathare, steht ein Toilettenmonument. Neben den dünnen, grauen und dicht aneinandergebauten Häusern von Mathare ist es ein farbiger Fremdkörper. Kuria versucht es hier mit einer Family-Mega-Card. Familien können ein Monatsabo für 1 Euro kaufen. Die Toiletten werden genutzt, besonders früh morgens und spät abends, wenn die Slumbewohner von oft weit entfernten Arbeitsplätzen zurückkehren. Doch genau hier, wo die Not am Größten, versagt das Geschäftsmodell. Bisher hat Kuria keinen Shilling aus den Familienabos erhalten. Der Erhalt des Monuments ist in Gefahr.

ÖffentlicheToiletteMunicipalityDagoreti4Dennoch ist es die „Slumtoilette“, auf die sich die internationale Wahrnehmung dem Afrika-Klischee entsprechend zumeist konzentriert. Kuria wird gelobt als Slumentrepreneur, geboren in Kibera, dem berühmt-berüchtigtsten Slum Nairobis, wo er Toiletten baue, so ein Artikel. Nur ist Kuria weder in Kibera geboren, noch steht dort bisher eines seiner Monumente. Denn auch Toilettenmonumente stehen vor riesigen Herausforderungen in den Slums. Und damit zurück zu Kurias Gandhi-These: Sind Toiletten wichtiger als Unabhängigkeit? Unabhängigkeit erfordert selbstbestimmte, geregelte Landnutzung. Genau diese fehlt in den Slums, den „informal settlements“, wie sie die kenianische Politik nennt und damit die Slums gleichzeitig tendenziell ignoriert. Dementsprechend gibt es für das Toilettenmonument im Slum von Mathare keinen Vertrag, keine Public-Private Partnership, kein Kanalisationssystem und Nairobis Wasserversorgungsgesellschaft hat sogar im August 2010 Wasserhähne aus der Toilette gewalttätig entfernt wegen eines Streits über Wasserentnahme.

Es ist daher genauso wichtig zu betrachten, wo die Toilettenmonumente nicht stehen bzw. nur schwerlich bestehen können: in Nairobis Slums, in denen immerhin geschätzte 60% von Nairobis Bevölkerung leben. Dies zeigt im Ergebnis eine Korrektur von Kurias Gandhi-These. Unabhängigkeit im Sinne geregelter Landnutzung scheint genauso wichtig wie Toiletten - Unabhängigkeit und Toiletten sind gleich wichtig. Die Gandhi zugeschriebene Prioritätsthese ist durch eine komplexere Gleichzeitigkeitsthese zu ersetzen von sich gegenseitig verstärkenden Freiheiten. Shit happens, aber Toilettenmonumente brauchen politischen Gestaltungsraum.

Der kenianische Schriftsteller Ngugi Wa Thiong‘o hat die komplexen Motive, der kenianischen Unabhängigkeitsbewegung in zahlreichen Werken analysiert: Freiheit von Fremdherrschaft, aber auch Sicherheit, Familie, Arbeit und Kollaboration. Dafür wurde er von einer kenianischen Regierung 1977 ins Gefängnis geworfen – und auch Kuria ist wegen seinen Monumenten schon im Gefängnis gelandet. Im Gefängnis schrieb Wa Thiong‘O einen Roman – auf Toilettenpapier. Die Toilettenmonumente schreiben die schwierige Geschichte der Unabhängigkeit fort.