Volunteering – „Lebensgefühl NGO“

Joana Breidenbach
18.07.2008

Spätestens seitdem das Bundesentwicklungsministerium Anfang des Jahres den Freiwilligendienst Weltwärtsins Leben gerufen hat, zieht es Heerscharen von jungen Deutschen in die Länder des Südens. 70 Millionen Euro stehen für diesen größten Freiwilligendienst Europas zur Verfügung, bis zu 10.000 Freiwillige zwischen 18-28 Jahren können fortan kostenfrei ein Jahr indische Slumbewohner unterstützen, im Niger Giraffen schützen oder peruanische Umweltprojekte begleiten.

Der Run auf die Programme ist gewaltig: Auf 100 Plätze der Weltwärts-Partnerorganisation American Field Service bewarben sic 1400 Freiwillige, beim Deutschen Entwicklungsdienst (DeD) kamen auf 275 Plätze 1300 Interessenten. Entwicklungspolitisches Engagement ist in.

Wer braucht unqualifizierte Helfer?

Doch wie sinnvoll ist dieses Engagement junger Deutscher, die als Qualifikation gerade mal ihren Schulabschluss vorzuweisen haben? Und wem nutzt es wirklich? Den lokalen NGOs, der bedürftigen lokalen Bevölkerung – oder nur den Jugendlichen selbst, die aus den Kinderzimmern kommend ein Abenteuer erleben?

Die von Florian Töpfl für das Magazin der Süddeutschen Zeitung -„Egotrip ins Elend -interviewten Experten und Nichtregierungsorganisationen, stehen den Freiwilligen durchweg kritisch gegenüber: Die Berliner Politikprofessorin Claudia von Braunmühl ist über Weltwärts „entsetzt“ und hält die Initiative für grenzenlos populistisch, weil sie kaum frage: „Was brauchen die Menschen in diesen Ländern wirklich?“ Auf keinen Fall unqualifizierte Helfer. In der jetzigen Form erinnere das Programm an Dschungel Camp Shows auf den Privatsendern.

Die kambodschanische NGO Friends, die in Phnom Penh mit 240 kambodschanischen Mitarbeitern 10 Lehrbetriebe für marginalisierte Kinder betreibt und bei der täglich Ausländer vorbeikommen, die ihre kostenlosen Dienste anbieten, lehnt unqualifizierte Helfer ebenfalls ab. „Die halten unsere Kinder nur vom Lernen ab“. Zudem gab es eine Menge Probleme mit Pädophilen. Auch Chris Minko, der in Kambodscha eine nationale Volleyball-Liga für behinderte Sportler aufbaute, um Landminenopfer und Polio-Geschädigte in die Gesellschaft zu integrieren, verzichtet ebenfalls auf Freiwillige. „Die Probleme in Entwicklungsländern sind so verdammt komplex – die kann niemand in 12 Monaten kapieren“, sagt er. Kulturadequates Verhalten lernt man nicht von heute auf morgen und eine Freiwillige, die ihren Laptop an einen der Mitarbeiter verschenkt und damit unwissentlich den Neid aller anderen Helfer provoziert, kann eine ganze Organisation in Unruhe versetzen.

Ausländische Freiwillige als Prestigeobjekte

Wenn sie schon nicht wirklich für die Arbeit eingesetzt werden können, so werden Freiwillige von vielen lokalen NGOs gerne als „Prestigeobjekt“ eingesetzt um z.B. an ausländische Spender heranzukommen. In vielen Ländern des Südens sind NGOs einer der wenigen, wenn nicht sogar der lukrativste Beschäftigungszweig – alleine in Kambodscha sind 300 internationale und 1000 lokale NGOs tätig. Da ist es oft nicht leicht zu unterscheiden welchen Interessen die Arbeit dient: der Hilfe für Bedürftige oder dem Profit und Selbsterhaltungstrieb ihrer Gründer.

Spoiler am Heck eines getunten Lebenslaufs

Fazit des Artikels: Diejenigen, die von den Freiwilligenprogrammen am meisten profitieren sind die Freiwilligen selbst. Sie bekommen nicht nur ein 10tägiges Vorbereitungsseminar, gefolgt von einem zweiwöchigen interkulturellen Training und sind während des ganzen kostenlosen Aufenthalts vollständig abgesichert. Sie erwerben darüber hinaus auch für ihren Lebenslauf Pluspunkte. Personalchefs stehen den Auslandsaufenthalten positiv gegenüber, erwerben die potentiellen Bewerber doch persönliche Reife und (inter)kulturelle Kompetenz.

Wenn Freiwilligendienste jedoch „Spoiler am Heck eines getunten Lebenslaufs“ sind und sehr viel mehr lernen, als das sie selbst helfen - warum kommen dann die Millionen für das Weltwärts Programm aus dem Entwicklungshilfe-Etat und nicht aus dem des Bildungsministeriums?

Aber das ist eine Frage, die man in der Entwicklungspolitik sich nur allzu oft stellen kann, kommen doch viele Maßnahmen mehr den eigenen Bürgern und Unternehmen zu gute, als den Ländern, denen sie eigentlich helfen sollen.

Bitte stärker differenzieren!

Mein Fazit: eine kritische Hinterfragung des neuen Hobbys Volunteering ist angebracht: Viel zu viele Menschen fahren mit sehr naiven Vorstellungen zu sozialen Projekten, in der Meinung, diese hätten nur auf sie gewartet. Dabei spiegelt sich zum Teil auch das alte Überlegenheitsgefühl der westlichen Welt wieder: wir wissen, was ihr braucht. Wir können Euch helfen.

Diese Haltung verkennt, das Menschen vor Ort oft die besten Kenner ihrer Probleme, Bedürfnisse und Interessen sind und die Lösungen auch schon parat haben. Doch für viele von diesen Lösungen kann eine zusätzliche Unterstützung durch externe Ressourcen (Geld, Zeit, Expertise) nicht nur sinnvoll, sondern gelegentlich auch notwendig sein. Ich denke dabei an Projekte wie dieses.

Ebenso geht das Argument, nur ein jahreslanges Verweilen in einer Gesellschaft könne zu kulturadäquatem Verhalten führen, über das Ziel hinaus: Natürlich kann man solches auch bei kürzeren Auslandsaufenthalten erlernen. Dies ist weniger eine Frage der Aufenthaltsdauer, als vielmehr einer generellen, oft individualpsychologisch begründeten, Sensibilität für neue kulturelle Kontexte.