Wo sind die Kontroversen?

Joana Breidenbach
24.04.2010

Es gibt noch ein paar abschießende Beobachtungen zum Skoll World Forum, die ich teilen möchte. Neben den vielen euphorischen Momenten auf dieser Konferenz, erzeugt durch den geballten Sachverstand und das große Engagement der Teilnehmer, haben mich insbesondere drei Dinge nachdenklich gemacht:

Wo ist die Politik?
In den Diskussionen um Armutsbekämpfung, soziale Gerechtigkeit und Klimawandel dominierte die Überzeugung, unternehmerisches Handeln sei die zentrale Stellschraube. Aber nachhaltiger systemischer Wandel wird nicht von einzelnen Sozialunternehmern und NGOs kommen, sondern bedarf staatlicher oder globaler Regulierungen. Wir brauchen Regulierungen auf der Makro-ebene, denn nur durch neue Gesetzgebungen (in Bereichen wie regenerierbare Energie oder Welthandel) werden die anstehenden Aufgaben zu bewältigen sein.

Wo sind die Kontroversen?
Selten war ich auf einer Konferenz, wo so viel Einigkeit herrscht. Und das macht mir Angst. Denn viele der diskutierten Themen sind eigentlich kontrovers und vielschichtig. Auf einem Panel wie das von V-Day - einer bewundernswerten Organisation, die auf den Vagina Monologues aufbaut und sich weltweit erfolgreich für Frauenrechte einsetzt - wird der Kampf gegen weibliche Beschneidung so geführt, als gäbe es weder ernstzunehmende medizinische und anthropologische Ansätze, das Thema differenziert zu betrachten (s. z.B. Carla Obermeyer oder Richard Shweder), noch einen größeren Kontext (die westliche Schönheitsindustrie, die mit massiven chirurgischen Eingriffen Brüste vergrößert, Fett absaugt und Nasen verkleinert etc.) in dem diese Formen von weiblicher Körperverletzung gesetzt werden sollten.

Aber auch ein Thema wie der mediale Erfolg von kiva.org wird diskutiert ohne die Repräsentationsstrategien der Plattform kritisch zu hinterfragen. Wie imfrüheren SWF-Post beschrieben, gelang Kiva der Durchbruch, nachdem TV-Zuschauer von der Möglichkeit begeistert waren, konkrete Mikrokreditnehmer in afrikanischen Staaten zu unterstützen. Doch wie in den letzten Monaten breit diskutiert wurde, sind die auf der Plattform abgebildeten Kreditnehmer gar nicht diejenigen, die den Kredit bekommen, sondern Stellvertreter. Die Abgebildeten haben ihren Kredit schon erhalten. Diese Praxis kann verteidigt werden, da eine wirkliche Peer to Peer Plattform einen viel größeren Verwaltungsaufwand mit sich bringen würde. Was mich nur wunderte war, dass in einem Saal voller Menschen, von denen bestimmt viele die so genannten Kiva Kontroverse im Internet verfolgt hatten, keiner darüber diskutieren wollte.

Wo ist das Unternehmertum?
Auf dem Skoll Forum war eine kritische Haltung gegenüber staatlichen Entwicklungsorganisationen und den etablierten großen NGOs deutlich zu spüren. Nun gibt es meiner Ansicht nach wirklich eine Reihe von Unterschieden zwischen den älteren Institutionen und den neuen Social Entrepreneurs, in dem letztere sich z.B. sehr fokussiert EINEN sozialen Missstand herausnehmen und diesen mit modernern Managementmethoden, schlanken Verwaltungsapparaten und genauen Metriken angehen (s. z.B. die von Ashoka für ihre Fellows entwickelten Wirksamkeitsanalysen)

In einem Panel zu Aid Agencies and Social Entrepreneurs, wurde aber auch deutlich, dass die staatlichen EZ-Organisationen mit ihren Millionenbudgets die neuen Spieler nicht ernst nehmen, da sie in ihren Augen keine wirklichen Skaleneffekte erzielen. So berichtete Jörg Hartmann, Direktor bei der gtz für Public-Private Partnerships, dass in der deutschen EZ die Kategorie „social entrepreneurs“ nicht existiert.

Und wenn man genauer nachfragte, wie sich die vielen vertretenen Organisationen denn finanzieren, dann standen sie fast nie wirtschaftlich auf eigenen Füßen, sondern leben wie ihre NGO-Vorgänger von Spenden, Stipendien und öffentlichen Zuschüssen. Die Schwierigkeiten, denen sich soziale Unternehmer auf dem Weg in ihre finanzielle Unabhängigkeit gegenüber sehen, werden z. B. in diesem Artikel nachvollziehbar beschrieben. Nur bitte lasst uns keine, auf falschen Prämissen aufgebaute Riesenblase erzeugen, die nur zu leicht zerplatzen kann. In der Armutsbekämpfung können wir seit dem 2. Weltkrieg sehen, wie sich eine Ideologie an die nächste reiht. Die Ideen des Social Entrepreneurships sind es wert, dass diese nach einer Dekade nicht genauso ihre Legitimation verlieren, wie ihre Vorläufer.