Bildungsagenten in Bad Friedrichshall: Schüler*innen gestalten eigenen Zukunftsstaat
In Bad Friedrichshall simulieren Schülerinnen und Schüler ihren eigenen Zukunftsstaat. Dabei unterstützt sie eine Gruppe junger Aktivist*innen, die mit ungewöhnlichen Methoden das Bildungssystem auf den Kopf stellen.
Eine Schülerin versucht Gleichgewicht in einen „Turm“ aus
Umweltbelastungen zu bringen (Foto: Niklas Rudolph)
„Hitzefrei und morgens später raus würden schon reichen, um Schüler*innen glücklicher zu machen“, sagt Sonja Lindenkreuz. Sie hält ein großes Stück Papier in der Hand, auf dem mehrere Glücks-Thesen stehen. In einem Workshop mit ihr haben Schülerinnen und Schüler des Alberti-Gymnasiums in Bad Friedrichshall gesammelt, was sie für eine glücklichere Schule brauchen würden.
“Was ist Glück?” heißt Sonjas Workshop. Sie will mit den Kindern erarbeiten, dass niemand Glück kaufen kann und dass es viele verschiedene Pfade dahin gibt. Sie lässt die Schüler*innen also Rezepte für ihre ganz eigenen Vorstellungen von Glück schreiben. Und stellt sie dann so zusammen, dass an der Wand “Glückskarten” entstehen.
Die Liste für eine glücklichere Schule sieht zum Beispiel so aus:
Sonja ist eine von zwölf Bildungsagent*innen, die an diesem Tag nach Bad Friedrichshall gekommen sind. Jede*r von ihnen hat einen eigenen, neunzigminütigen Workshop vorbereitet, der die Kinder zu einer ökologisch und sozial nachhaltigeren Zukunft inspirieren soll. „Schule als Zukunftsstaat“ heißt das Projekt, in dem die Workshops stattfinden.
Jennifer Gossen (r.) und ihre Mitschüler*innen
organisieren das Projekt selbst
Schüler*innen organisieren alles selbst
„Die Idee kam von der Schülerschaft“, sagt die Kommunikationschefin des Projekts, Jennifer Gossen. Sie ist selbst noch Schülerin des Gymnasiums und erklärt, dass die Workshops den Schülern Mut zum Andersdenken machen sollen: „Wir möchte Tendenzen, die noch nicht Mainstream sind, einbinden und Talentismus, Nachhaltigkeit und Bürgerbeteiligung stärken.“ Sie koordiniert die 15 Workshops, mit denen sie ihre Mitschüler*innen konfrontiert. „Wir bereiten uns seit neun Monaten vor.“ Die Workshops der Bildungsagent*innen gehören zu einer Sensibilisierungsphase. Im Juli 2016 findet dann ein großes Planspiel statt. Die Schüler*innen werden darin einen eigenen Staat simulieren: mit eigenem Wirtschaftssystem und eigener Verfassung.
Die Workshops der Bildungsagenten sollen die Schülerinnen und Schüler für die Chancen sensibilisieren, die ihnen das große Planspiel bietet. Sie sollen lernen, die ungerechten Verhältnisse und umweltschädlichen Produktionswege, wie etwa bei der Produktion von Smartphones, in Frage zu stellen und sich Alternativen auszudenken.
Helmut Wolman hat die Bildungsagenten mit gegründet. Hier
muss er einen Workshop zu „grüner IT“ improvisieren,
da eine Kollegin abgesprungen ist.
Bildungsagenten bieten Methoden, Trainings und Aktionen
„Man kann schon sagen, dass diese Aktion repräsentativ für die Bildungsagenten ist“, sagt Helmut Wolman. Vor knapp vier Jahre begann er mit weiteren Mitstreiter*innen eine Plattform, die neue, innovative Methoden und Aktionen sammelt, um Bildung nachhaltiger – das heißt: spannender, erfahrbarer – zu machen. Bei dem Workshop in Bad Friedrichshall war es die Schule, die die Agenten angefragt hat, aber Helmut und seine Kolleg*innen organisieren auch selbst Aktionen und Workshops. Die Konzepte dafür kann jede*r auf ihrer Website lesen.
Über 200 Bildungsagent*innen gibt es mittlerweile in ganz Deutschland. “Das Konzept ist so”, sagt Helmut, “dass du nur etwas machst, wenn du Bock darauf hast.” Niemand werde gezwungen, Aktionen durchzuführen oder Workshops zu leiten, sondern es gehe darum, “dass Du nur Aktionen machst, in denen Du selber Dein eigenes Entwicklungspotenzial ausschöpfen kannst.” Da die Ehrenamtlichen kein Geld bekommen, will Helmut ihnen die Möglichkeit geben, Dinge auszuprobieren. “Und die müssen nicht perfekt sein”, sagt er und fügt hinzu:
Sonja Lindenkreuz stellt den Kindern mögliche Zutaten
für ihre Glücksrezepte vor
“Wenn man Professionalität von Leuten einfordert, dann muss man sie auch so bezahlen.”
Es soll nicht nur den Schüler*innen, sondern auch den Vortragenden Spaß machen.
Bei Sonja geht der Workshop langsam zu Ende. Die Wand ist voll mit Papier, Bildern und Formen. “Es hat alles so geklappt, wie ich es mir vorgestellt habe”, wird sie nach dem Workshop sagen. Auch eine Lehrerin ist begeistert: “Es war super!”, sagt sie. Und die Schüler*innen haben nun Rezepte zu ihrem ganz eigenen Glück.