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Sascha G.
Sascha G. schrieb am 19.04.2022
Liebe Supporter*innen,

nach jahrelangen Ermittlungen und nach einem weiteren Jahr seit Anklageerhebung ist es soweit. Am 21.05. ist der erste Tag der Vorverhandlung am Gericht in Trapani (Sizilien).

30.000 Seiten Akten der Staatsanwaltschaft mussten hierfür von uns und unseren Anwält*innen gesichtet und ausgewertet werden. Neben den vier Beschuldigten der iuventa-crew werden noch 17 weitere Menschen von den Organisationen Ärzte ohne Grenzen und safe the children sowie beide Organisationen selbst und eine Reederei der „Beihilfe zur illegalen Einreise“ beschuldigt. Die Zusammenfassung der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft liest sich folgendermaßen: alle Organisationen hätten quasi unter eine Decke gesteckt und das MRCC-Rom(Seenotkoordinationsstelle in Rom) böswillig getäuscht – denn die Menschen hätten sich nach Ansicht der Staatsanwaltschaft gar nicht in Seenot befunden. 

Stellt Euch vor, mit 150 weiteren Menschen dicht gedrängt auf einem Schlauchboot zu sitzen, dessen Wände so dünn sind, dass sie leicht mit einem spitzen Gegenstand zu durchstechen sind oder mit 400 weiteren Menschen im stickigen Unterdeck eines Holzbootes sitzend zusammengepfercht zu sein. Stellt Euch vor, es gibt keinen Schutz vor Kälte, Nässe, Gischt oder Hitze tagsüber. Stellt Euch vor, es gibt nahezu kein Trinkwasser oder etwas zu essen – die Spritreserven für den kleinen Außenborder bestehen nur aus wenigen Kanistern. Es gibt keine vernünftige Navigation, die Fahrtgeschwindigkeit beträgt max. 6 km/h. Um Euch herum endloses Meer – keine Orientierung – nur Wasser. Der Wind frischt auf, die Wellen werden länger und höher. Wasser spritzt pausenlos ins Boot. 
Diese Situation als nicht lebensbedrohlich zu empfinden, fällt schon bei der Vorstellung schwer. Diese Boote sind nicht Hochseetauglich! Nur pure Verzweiflung oder Zwang treiben Menschen auf diese schwimmenden Särge. Mindestens 350 Menschen ertranken bereits in diesem Jahr, tausende wurden von der sogenannten libyschen Küstenwache zurück in die Folterlager geschleppt.
Und noch immer begeben sich Menschen auf solche lebensgefährlichen Überfahrten, da es ihre einzige Chance ist, weil ihnen legale Flucht- oder Einreisewege nach Europa verwehrt werden. Hinzu die Menschen, die in den Wäldern an der polnisch-belorussischen Grenze ausharren oder diejenigen, die seit Jahren in griechischen Lagern interniert sind. Und überall begleitet von staatlicher Repression gegen sie und ihre Unterstützer*innen. 

Wir werden den anstehenden Prozess nutzen, um die Menschrechtsverletzungen und die heuchlerische Doppelmoral der europäischen Union anzuprangern und die vielfältigen Wege des Widerstands gegen die Festung Europa sichtbar zu machen. Es ist ein politischer Prozess und auch wir werden ihn politisch nutzen.

Durch Eure Spenden konnten nicht nur unsere Anwält*innen weiter arbeiten und Expert*innen zu den verschiedenen Rechtsthemen befragt werden. Eure Spenden halfen uns sehr Veranstaltungen, Aktionen und unsere Öffentlichkeitsarbeit finanzieren zu können. Ohne Euch wäre das nicht möglich gewesen! Danke!

Und wir werden damit nicht aufhören. In Zukunft werden wir weiterhin und vermehrt dafür arbeiten, dass die Kriminalisierung von Flucht und Fluchthilfe nicht als Randnotizen aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwindet. Es werden nun erhöhten Reise- und Übernachtungskosten auf uns zukommenden. Nicht nur für die anstehenden Prozesstage, an denen wir präsent sein werden, sondern auch für die wichtige Vernetzung, Austausch und Treffen mit anderen von Repression Betroffenen. Auch wird immer wieder Geld benötigt, um Teile der Ermittlungsakten für eine adäquate Prozessvorbereitung oder auch internationale Presseartikel und politische Analysen vernünftig übersetzen zu können. Denn wir wollen auch die italienische Öffentlichkeit erreichen.Zudem werden wir am 21.05. zum Prozessauftakt mit unseren Freund*innen und Unterstützer*innen aus Italien in Trapani präsent sein. Mit Unterstützung von Seebrücke, anderen Seenotrettungsorganisationen wie z.B. SeaWatch, Alarmphone und Supporter*innenstrukturen sind jetzt bundesweit Aktionen an diesem Tag in Deutschland geplant. Achtet auf Ankündigungen in Eurer Stadt, beteiligt Euch oder plant eigene Aktionen. Dieser 21.05. soll ein Tag der Solidarität mit allen Menschen auf der Flucht werden. 

Wir sagen herzlichst Danke für Eure vergangene sowie zukünftige Unterstützung und sehen uns auf der Straße!Gegen ein Europa der Abschottung! Solidarity and resistance!