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Sascha G.
Sascha G. schrieb am 20.04.2023

Liebe Supporter*innen, liebe Freund*innen,
vor ziemlich genau einem Jahr haben wir den letzten Bericht für Euch geschrieben. Damals lag der erste Prozesstag der Vorverhandlung, der 21 .Mai 2022, noch vor uns. Heute blicken wir auf ein bewegtes Jahr zurück. Eine Timeline darüber, was bisher in unserem Verfahren geschah, findet ihr bei borderline-europe: Timeline Iuventa


Nur vor wenigen Tagen veröffentlichte die Migrationsbehörde der Vereinten Nationen, dass die ersten drei Monate 2023 das tödlichste erste Quartal seit sechs Jahren auf dem Mittelmeer waren. Offiziell sind auf dieser Route bisher fast 500 Menschen bei dem Versuch nach Europa zu gelangen ums Leben gekommen. Tausende wurden von der, duch europäische Gelder finanzierten, sogenannten libyschen Küstenwache abgefangen und zurück in Folter- und Sklavenlager geschleppt. Im Gegensatz dazu werden zivile Rettungsschiffe weiterhin unter fadenscheinigen Gründen von den Behörden in ihrer Arbeit behindert oder festgesetzt. Illegale Pushbacks an allen europäischen Außengrenzen sind an der Tagesordnung - sei es an Land in den Wäldern Polens oder das Aussetzen Geflüchteter in manövrierunfähigen Rettungsinseln vor der griechischen Küste. Auf Hilferufe von Geflüchteten auf See wird nicht oder nur sehr verspätet reagiert, wie uns das verheerende Schiffsunglück vor ca. einem Monat mit nahezu 100 Toten direkt vor der Küste von Crotone in Italien gezeigt hat. In unserem stetigen Bestreben, den Prozess gegen uns politisch zu nutzen, unterbrachen wir die auf das Sterben in Crotone folgende Anhörung auch direkt, um dort der Opfer zu gedenken und die dahinter stehende Politik anzuprangern. Wir betonten dabei, dass das, was in Crotone passiert ist, im direkten Zusammenhang mit unserem Verfahren steht. Die Aufzeichnung der Rede könnt ihr hier ansehen: https://www.instagram.com/p/CpQUWGOorUP/

In den Wäldern an den Außengrenzen gibt der Frühling mit der Schneeschmelzte die erfrorenen oder an Entkräftung gestorbenen Menschen frei. Eine auf allen Ebenen immer restriktivere europäische Migrations- und Grenzpolitik eskaliert zunehmend zu einen „Krieg gegen Geflüchete“. In diese Kontinuität der Abschottung „um jeden Preis“ reiht sich auch unser Verfahren in Trapani ein.

Viele Prozesstage der Vorverhandlung liegen bereits hinter uns und bis September sind acht weitere Termine festgelegt. In der Vorverhandlung wurden bisher vor allem Beschwerden der Verteidigung und Anträge verhandelt. So ging es u.a. um die Zulassung einer unabhängigen Prozessbeobachtung, aber auch um den Versuch der italienischen Regierung, Nebenklägerin zu werden, sowie über mehrer Termine hinweg um die bisher unzureichende Übersetzung der Akten und der Sprachübersetztung während der Prozesstage. Auch bezüglich unzureichenden Übersetzung, die über unseren Einzelfall hinausgeht, versuchten wir die Aufmerksamkeit, die uns zuteil wird, dafür zu nutzen, diese Problematik grundsätzlich anzuprangern und Aufmerksamkeit dafür zu schaffen, und starteten die Kampagne #NoTranslationNoJustice, unter welchem Hashtag zahlreiche andere Betroffene ihre Erfahrungen teilten: https://www.instagram.com/p/Cl07V8KgbAp/

Während unser Verfahren zumindest mediale Aufmerksamkeit erfährt und uns, nicht zuletzt durch Eure finanzielle Unterstützung, eine gute Prozessbegleitung möglich ist, erleben die meisten Menschen, die wegen "Beihilfe zur unerlaubten Einwanderung" angeklagt werden, eine gänzlich andere Realität. Von nahezu jedem Boot, das gerettet wird oder aus eigener Kraft das europäische Festland erreicht, werden mindestens ein bis zwei Geflüchtete angeklagt und in der Regel auch verurteilt. Jüngsten Berichten zufolge wurden europaweit bisher fast 9.000 Migrierende wegen dieser Vorwürfe verurteilt. Flucht selbst wird damit zu einem Verbrechen und die Geflüchteten zu Straftäter*innen deklariert. Sie müssen sich vor Gericht verantworten, oft ohne zu wissen, welcher "Verbrechen" sie überhaupt beschuldigt werden. Prozessbeobachtende Gruppen beklagen während der Verfahren regelmäßig die übermäßige Untersuchungshaft, das Fehlen eines angemessenen Verdolmetschung, die mangelnde Vorbereitung der Pflichtverteidiger*innen und die schwache Beweislage. In Griechenland dauert so ein Verfahren meistens grade mal 28 Minuten. Die durchschnittliche Strafe beträgt 48 Jahre Gefängnis plus 400.000 Euro Strafgeld. Die Organisation borderline-europe dokumentiert und unterstützt diese Verfahren.

Unsere Anwält*innen streiten deshalb in diesem Verfahren nicht nur für die Rechte von uns vier Angeklagten der iuventa-crew, sondern versuchen auch immer die Rechtspositon von Geflüchteten langfristig zu stärken. So war die Klage auf Zulassung einer unabhängigen Prozessbeobachtung bereits erfolgreich und die Auseinandersetzung auf das Recht einer adäquaten Übersetzung aller Prozessrelevanten Dokumente und während des Verfahrens in die Herkunftssprache der Beschuldigten läuft noch. Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass die willkürliche Kriminalisierung und Behinderung der zivilen Seenotrettung seitens der Behörden nicht ohne konsequenz für diese bleibt. Das Gericht hat bereits entschieden, dass die iuventa, die in den fast sechs Jahren, die bereits seit der willkürlichen Beschlagnahmung vergangen sind, verrostet ist und zerstört wurde,  wieder in ihren Ursprungszustand gebracht werden muss. Im Februar dieses Jahres stellten wir zudem Strafanzeige, um festzustellen, wer dafür die Verantwortung trägt und Rechenschaft einzufordern. Auch hierbei geht es nicht nur um uns, sondern darum, der Kriminalisierungspolitik gegenüber der gesamten zivilen Flotte etwas entgegenzusetzen und zu zeigen, dass wir uns wehren.

Vor einem Jahr schrieben wir hier: „Es ist ein poltischer Prozess und auch wir werden ihn politisch nutzen“ - die juristischen Auseinandersetzungen und deren Aufarbeitung in Pressemitteilungen, Artikeln oder Veranstaltungen sind ein Teil davon. 

Nur durch die bisher zahlreich eingegangenen Spenden war uns das möglich. Dafür sagen wir Euch noch einmal herzlichst Danke! 


Seit der Prozesseröffnung im Mai 2022 haben wir an unzähligen Veranstaltungen teilgenommen, Filmvorführungen und Aktionen organisiert. Und auch für die weitere Arbeit wird dringend Geld benötigt. Insbesondere die für die Anwält*innen und Betroffenen für jeden Prozesstag anfallenden Reise- und Unterbringungskosten sind zur Zeit eine große finanzielle Belastung. Zudem wird weiterhin immer wieder Geld für Übersetzungsarbeiten benötigt. 
Wir machen weiter vor Gericht – ein paar Asse haben wir noch im Ärmel ;-) - und auf der Straße! Vielen Dank für Eure vergangene sowie zukünftige Unterstützung! 
Gegen ein Europa der Abschottung! Solidarity and Resistance!