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Obdachlose in der Corona-Krise: Interview mit Gerhard Roden

Martina D.
Martina D. schrieb am 11.01.2021

Liebe Spenderinnen und Spender,

der Bonner General-Anzeiger hat ein spannendes Interview mit dem Leiter der Wohnungslosenhilfe der Caritas Bonn zur Situation von Obdachlosen in der Corona-Krise veröffentlicht. Diesen Artikel möchten wir Ihnen nicht vorenthalten.

Viel Spaß beim Lesen!



(Der Leiter des Prälat-Schleich-Hauses, Gerhard Roden, sagt, dass die Arbeit für obdachlose Menschen in Bonn in der Pandemie schwieriger geworden ist.)



Wo Obdachlose sich die Hände waschen

Auch unter Bonns Wohnungslosen haben sich die Corona-Regelungen etabliert, sagt der Leiter des Prälat-Schleich-Hauses der Caritas

Die Arbeit für obdachlose Menschen in Bonn ist in der Pandemie schwieriger geworden. In der City-Station kann den Menschen warmes Essen nur noch mitgegeben werden. Statt Sprechstunden gibt es offene Beratungsarbeit. Übernachtungsquartiere müssen ausgeweitet werden. Und fürs Händewaschen hat die Caritas am Prälat-Schleich-Haus ein Außenwaschbecken aufgestellt. Mit Hausleiter Gerhard Roden sprach Ebba Hagenberg-Miliu.

Der Winter steht vor der Tür. Wie viele obdachlose Menschen können bei Ihnen aktuell unterkommen?

Gerhard Roden: Wir selbst vergeben an sieben Standorten über die Stadt verteilt 200 Wohnplätze für obdachlose Männer. Dazu bieten wir einen Notübernachtungsbetrieb und eine Fachberatung, die jeden Monat um die 40 Erstanfragen registriert. Pro Monat nutzen diese Angebote insgesamt rund 300 Personen. Die Wohnplätze sind voll ausgelastet.

Wie alt sind die Männer, die in Ihren Häusern leben?

Roden: Von 18 Jahren bis Mitte 80. Die meisten sind um die 45 Jahre alt. In unserem Prälat-Schleich-Haus wohnen die Männer für eine begrenzte Zeit mit der Zielsetzung, wieder an den üblichen Lebensvollzügen teilzuhaben. Dagegen ist die Aufenthaltsdauer im Haus Kaiserstraße unbegrenzt. Manche wohnen dort, bis sie sterben. Es kommt darauf an, welche Perspektive jeder für sich entwickelt. Im Juli 2021 werden wir in Geislar ein weiteres Haus für junge wohnungslose Männer eröffnen, die unter möglichst normalen Lebensumständen ihre Chance bekommen sollen, sich wieder zu integrieren.

Was ist nun unter Corona-Bedingungen aktuell anders?

Roden: Überall wird „social distancing“, also Abstand zu halten, gefordert. Aber gerade in unserer Arbeit ist es auch jetzt enorm wichtig, dem Mitmenschen mit besonderer Aufmerksamkeit zu begegnen, also die soziale Nähe aufrecht zu erhalten. Praktisch gesagt: Wir müssen die körperliche Distanz hinkriegen, aber gleichzeitig empathisch den Menschen gegenüber bleiben und engen Kontakt halten.

Welche Hilfen sind denn momentan besonders gefragt?

Roden: Wir beraten aktuell besonders viel zu existenzsichernden Hilfen. Dies auch verstärkt im Rahmen der aufsuchenden Straßensozialarbeit. Wichtig sind auch die 130 warmen Essen zum Mitnehmen, die wir täglich in der City-Station in der Thomastrasse ausgeben.

Wo essen das die obdachlosen Menschen denn?

Roden: Sie müssen derzeit mit dieser warmen Mahlzeit im Nahbereich auf eine Bank gehen. Bei der Essensausgabe entstehen für uns aber immer wieder Kontaktmöglichkeiten. Wir können uns mit den Menschen ja in der Pandemie nicht in den Tagesaufenthalt setzen. Aber so gibt es an der City-Station die Möglichkeit, im Gespräch zu bleiben und weiter Vertrauen aufzubauen.

Wofür suchen denn die Ratsuchenden aktuell bei Ihnen besonders Unterstützung?

Roden: Wir stellen fest, dass die Beratungsleistung des Jobcenters wegen der Pandemie zurückgefahren scheint. Die entsprechenden Anliegen kommen jetzt bei uns an. Und viele Ratsuchende kommen auch im Zuge der zunehmenden Digitalisierung immer schwerer an Informationen heran, da sie meist keine Geräte dafür haben. Auch da helfen wir ihnen in offenen Sprechstunden pragmatisch weiter.

Halten obdachlose Menschen denn die Abstandsregeln ein?

Roden: Am Anfang der Pandemie war das schon ein Thema, vor allem, wenn Alkohol- oder Drogenkonsum im Spiel war. Da fehlte wie auch in der Bevölkerung allgemein oft noch die Einsicht, dass man auch die anderen zu schützen hat. Dann haben wir das hier eben eine Zeit lang geübt (schmunzelt). Und zwar, wenn es gar nicht anders ging, mit Unterstützung der Polizei und des Ordnungsamts. Doch mittlerweile haben sich die Abstandsregeln auch bei den obdachlosen Menschen weitestgehend etabliert.

Wo bekommen sie denn Masken her?

Roden: Wir haben uns schon von Anfang an mit genügend Masken ausgestattet, die wir bereitstellen. Wir danken den Bonner Bürgern, dass sie uns auch dafür viele Spenden haben zukommen lassen. Da ist in unserer Stadt ein erfreuliches Miteinander deutlich geworden. Die erste Corona-Regel lautet: Hände waschen.

Wo können das obdachlose Menschen im Bonner Zentrum tun?

Roden: Genau, das ist einfacher gesagt als getan. Das war im März ein wirkliches Problem. Die Brunnen waren noch nicht in Betrieb und die öffentlichen WCs teilweise nicht geöffnet. Da haben wir am PrälatSchleich-Haus im Außenbereich ein Waschbecken aufgestellt, das bis heute viel genutzt wird. Dazu haben wir die Menschen auch mit kleineren Mengen Desinfektionsmittel ausgestattet.

Und hat es unter den von Ihnen betreuten Menschen schon Corona-Fälle gegeben?

Roden: Nein, wir hatten unter ihnen noch keinen Fall. Toi toi toi. Aber natürlich testen wir sehr schnell, wenn Corona-Verdacht besteht. Und würden den Fall dem Gesundheitsamt melden, das dann Quarantäne verordnen würde.

Wo könnten wohnungslose Menschen in Quarantäne gehen?

Roden: Wir halten für unsere Bewohner Bereiche vor, sodass wir immer zwei Personen komplett absondern und versorgen können. Sie werden seit April schon für Kontaktpersonen ersten Grades genutzt, die zwar negativ getestet sind, aber dennoch in Quarantäne bleiben müssen.

Was passiert, wenn die Temperaturen weiter sinken und noch mehr Leute Unterschlupf suchen müssen?

Roden: Derzeit leben rund 70 Personen in Bonn auf der Straße. Wir bemühen uns seit Wochen gemeinsam mit der Stadt und dem Verein für Gefährdetenhilfe (VfG), für diejenigen, die es wollen, auch weitere Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen, damit nicht zu viele Menschen zu nah zusammenbleiben müssen. Wir wollen auf keinen Fall neue Infektionsketten auslösen.

Und welche Lösungen wurden für Frostnächte gefunden?

Roden: Die Stadt hat in Bad Godesberg neue Unterbringungsplätze geschaffen. Und wenn dann wirklich noch jemand bei uns anrückt und wir haben kein Bett mehr frei, würden wir den natürlich nicht wieder nach draußen in die Eiseskälte schicken, sondern eine Lösung finden. Aber eigentlich ist unser Ziel, dass Menschen, die wirklich Obdach wollen, schon vorher versorgt sind.

Ist denn auch bei wohnungslosen Menschen Corona ein wichtiges Thema?

Roden: Natürlich. Die Älteren, gerade die, die in einem bedenklichen gesundheitlichen Zustand sind, wissen sehr genau, dass eine Infektion ihr Todesurteil bedeuten könnte. Sie halten sich genau an die Vorgaben und lassen sich testen. Die Jüngeren sind eher nachlässiger. Das ist also genauso wie in der übrigen Gesellschaft. Wir werden demnächst natürlich auch unterstützen, dass sich möglichst viele wohnungslose Menschen gegen Corona impfen lassen.


ZUR PERSON
Gerhard Roden, Jahrgang 1965, ist nach einer Ausbildung zum Krankenpfleger und einem Studium der Sozialarbeit und des Sozialmanagements seit 20 Jahren in der Suchtkrankenhilfe, Sozialpsychiatrie und Wohnungslosenhilfe in Leitungsverantwortung tätig. Seit 13 Jahren leitet er die Wohnungslosenhilfe der Caritas Bonn und damit auch das Prälat-Schleich-Haus an der Thomastraße.
Quelle: GA Bonn, Artikel vom 27.12.2020.


Wir danken Ihnen für Ihre Unterstützung und wünschen Ihnen alles Gute für das Jahr 2021!

Hilfe für Obdachlose und Bedürftige. Warmes Mittagessen an der City-Station.