Paradies und Hölle: ein Besuch in Bahir Dar, Äthiopien

Björn Lampe
21.05.2014

Björn Lampe, Leiter des Projekte & Organisationen-Team bei betterplace.org, war eine Woche mit der Organisation Viva con Agua auf Projektreise in Äthiopien. Seinen ersten Blogbeitrag zur Reise kannst Du hier nachlesen, den zweiten hier. Der dritte Teil folgt jetzt:

Eben noch quälte sich unser Bus die Serpentinen steiler Berge hinab, nun plötzlich liegt in der Ferne eine große, glitzernde Fläche vor uns: der Tanasee. Äthiopiens größter See ist fast sieben Mal so groß wie der Bodensee, und an seiner Südspitze liegt die drittgrößte Stadt des Landes – Bahir Dar. Die Stadt präsentiert sich quirlig bei unserer Ankunft: Menschen flanieren am Ufer des Sees, sitzen auf den Terrassen der zahlreichen Restaurants und bevölkern die winzigen Bars und Musikclubs des kleinen Ausgeh-Viertels.

Am nächsten Morgen zeigen uns die Mitarbeiter der lokalen Organisation ORDA und der Welthungerhilfe dann eine ganz andere Seite der Stadt: Stinkende Slums, in denen uns die hygienischen Verhältnissen den Atem stocken lassen. Hunderte Menschen teilen sich dort zwei völlig verdreckte Latrinen und viel zu wenig Wasserhähne. Eine der Ursachen für diese schlimmen Zustände ist das extreme Wachstum der Stadt: In den letzten sechs Jahren hat sich die Bevölkerungszahl fast verdreifacht. Inzwischen leben rund 300.000 Menschen in Bahir Dar. Um möglichst vielen von ihnen Zugang zu sauberem Trinkwasser, zu Latrinen und Abwassersystemen zu ermöglichen, wurde im vergangenen Jahr ein großangelegtes Programm gestartet. Finanziert von der Regionalregierung, der EU und Viva con Agua.

[caption id=”attachment_10458” align=”aligncenter” width=”709”]krankenhaus Städtisches Krankenhaus, Bahir Dar[/caption]

Dass dieses Programm dringend notwendig ist, zeigt sich in frappierender Form ausgerechnet im städtischen Krankenhaus. Dort, wo eigentlich Menschen geheilt werden sollen, treffen wir auf schlimmste hygienische Bedingungen und ein überfordertes Management. Doch gleich daneben die ersten Zeichen der Verbesserung: Hinter den alten Latrinen für die Notaufnahme werden neue errichtet. Zudem eine Biogasanlage, die aus Abfällen Energie für die Krankenhausküche produziert.

[caption id=”attachment_10459” align=”aligncenter” width=”696”]klo Renovierung einer öffentlichen Toilettenanlage[/caption]

Auch an unseren nächsten Stationen sind erste Erfolge des Programmes sichtbar: ORDA-Mitarbeiter renovieren eine öffentliche Toillette, die bald wieder von den Menschen im Kiez selbst betrieben werden soll. In einem Vorort erweitern Bauarbeiter das bestehende Trinkwasser-System deutlich, um den steigenden Einwohnerzahlen gerecht zu werden. Und an einer Schule präsentieren uns Kinder ein Theaterstück, das über die Notwendigkeit von Hygiene und die Gefahren von Keimübertragungen aufklärt.
Das alles macht Mut angesichts der Vielzahl an Aufgaben, die hier noch von den Organisationen und der Regionalregierung zu bewältigen sind. Beim Gespräch mit dem zuständigen Verordneten für Stadtschönheit und Hygiene gibt dieser offen zu, dass es noch sehr viel zu tun gibt und er dankbar für die Unterstützung aus Europa ist. Gleichzeitig müssen wir uns eingestehen, dass wohl auch jede deutsche Kleinstadt komplett überfordert wäre, wenn deren Einwohnerzahl sich innerhalb kürzester Zeit verdreifachen würde.

[caption id=”attachment_10462” align=”aligncenter” width=”712”]tanasee Am Ufer des Tanasees[/caption]

Als wir abends bei einem Feierabendbier wieder am Ufer des Tanasees sitzen und unsere Reise Revue passieren lassen, ist sich unsere Reisegruppe einig: Wir haben ein unglaublich abwechslungsreiches, faszinierendes und gastfreundliches Land kennengelernt, welches gewaltige Anstrengungen unternimmt, um die Lebensbedingungen im Land zu verbessern. Kritisch ist, dass sich die Regierung dabei wenig um Menschenrechte wie Meinungs- oder Pressefreiheit schert. Die Menschen, die wir getroffen haben, berichteten uns trotzdem frei und ohne Scheu von ihren Eindrücken. Überall ist der Willen zu Veränderung und Aufbruch spürbar. Die Arbeit von Viva con Agua, der Welthungerhilfe und ihrer lokalen Partner hilft dabei die Veränderungen durch grundlegende Infrastrukturmaßnahmen im Bereich Trinkwasser und Hygiene zu beschleunigen. Davon konnten wir uns mehr als nur überzeugen. So bleibt der Eindruck: jeder von uns kann der Tropfen sein, der sauberes Wasser zum Fließen bringt!

Fotos: Klaus Klische